Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Freitag, 24. April 2015

Napoleon - So ist der Krieg, so ist das Leben

Das ist der fünfte Teil der Serie "Als die Hölle über Regensburg hereinbrach" über die Schlacht bei Regensburg am 23. April 1809.

Ich  habe ihm bewusst eine eigene Überschrift gegeben, weshalb, wird vielleicht beim Lesen klar.




Als Fürst Primas sich am 24. April bei Napoleon darüber beklagte, dass die französischen Soldaten das gebeutelte Regensburg plünderte, zuckte Napoleon angeblich  die Achseln und sagte, „c'est la guerre (so ist der Krieg)“ und aß ruhig fort (Weiniger, S. 22) Manchmal liest man auch das Zitat in der Form "c'est la vie, c'est la guerre" - so ist das Leben, so ist der Krieg. 

Wie auch immer - wie der Krieg aus der Sicht des gemeinen Soldaten und des Bürgers aussieht, haben wir schon ein wenig aus der Schilderung von Wittmann sehen können (Teil 2). 

Das Werk von Wackenreiter dagegen, also die "Erstürmung von Regensburg" beschreibt die Schlacht überwiegend aus der Sicht eines Feldherrn. 

Anders im seinem ein Jahr später erschienenen "Nachtrag zur Erstürmung von Regensburg"

Hier sammelte Wackenreiter viele nachträgliche Notizen, Aufzeichnungen und Korrekturen zu seinem Hauptwerk.


Eine Notiz beschreibt die Situation in der Altstadt aus Sicht des Regensburger Chor-Vikars Mettenleitner (S. 42) :
Die siegenden Franzosen stürmten über aufgehäufte Leichen bis auf die steinerne Brücke, welche die Oesterreicher Schritt für Schritt tapfer vertheidigten. Allein es war aller Widerstand vergebens, die Franzosen drangen über die Brücke durch den schon brennden, den äußeren Thurm in Stadt am Hof ein, in der Absicht auch den Dreifaltigkeitsberg zu erstürmen ...
Zu diesem Elend des Tages und der Nacht gesellten sich quälender Hunger, Mangel an Nahrung, Plünderung, Mißhandlungen, Geschrei der Verunglückten, Sterbenden, Verwundeten, wilder  Lärm der Abends 9 Uhr, über die steinerne Brücke zurückkehrenden siegreichen Krieger. So wurden die Bewohner Regensburg's von zwei Seiten durch ein immer weiter um sich greifendes Feuer eingeschlossen,  allerseits immer mehr geängstiget und gequält, viele an den Bettelstab gebracht und außer den empfindlichen Leiden von diesen schrecklichen Folgen des Krieges und der jammervollen Bestürmung der Stadt sind auch noch die, in wenigen Wochen, getragenen Einquartierungen von beinahe 200,000 Mann voraus gegangen ...


Es war Mitternacht, das österreichische Artillerie-Feuer hörte auf und die Franzosen wurden nun auch Meister der Donaubrücke und von Stadt am Hof. Napoleon musterte den 24. Morgens seine Truppen . . . und machte während seines zweitägigen Hierseins mehrere Ausritte über die steinerne Brücke und in die Umgegend . .." Aus den Papieren des Hochwürdigen Herrn Chor»Vikars Dr. Mettcnleitner.


Interessant fand ich einen Abschnitt auf S. 42, stammend von Professor und Regens Joh. Nep. Ring, der nach der Zerstörung des Mittelmünsters (Jesuitenkloster St. Paul) die Leitung des Militärlazaretts übernahm. Die Hervorhebung in roter Schrift stammt von mir:

Einblick in das damalige Lazarethleben.
„Es liegt mir schon lange Zeit im Sinne, den Zustand und das Elend meines Lazarethes zu schildern. Denn ich habe es schon einigemal ausgesprochen:
 
Man sollte Jeden, der einen Krieg zu beschließen gesinnt ist, ehevor in ein Lazareth führen können, und ihm dort all das Elend sehen lassen, das auf verwundete Krieger wartet, und die Schmerzen und Leiden, welche hier die Menschheit ausstehen muß — gewiß! er würde sich kaum zu einem Kriege entschließen.
1. Es wird eine lange Zeit erfordert bis ein Lazarett) ordentlich eingerichtet werden kann, besonders wenn die Anzahl der Verwundeten groß ist. Aber wer will 100. 200, 300 Menschen gleich mit Betten, Zudecken, Wäsche und anderen Nothwendigkeiten versehen?

2. Da werden dann die Verwundeten blutend daher gebracht; die meisten mit zerschmetterten Beinen, daß ihnen jedes Anrühren schmerzlich fällt, und man das Geächze und Gewimmer im ganzen Zimmer erschallen hört.

3. Man legt einige auf schlechte Matrazen hin; mehrere auf Strohsäcke; die meisten auf etwas Stroh auf den Boden. Denke dir einen halbverwundeten Körper auf dieser harten Lagerstätten

4. Verbinden ist vielleicht die einzige Wohlthat, die ihnen in diesem Zustande zu Theil wird -  und das wenig genug. An einige Labung durch Speise und Trank ist in der ersten Verwirrung kaum zu denken. Es war hier der Fall, daß in dem Spitale der P. P. Dominikaner die Blessirten 3 bis 4 Tage ohne Nahrung gelassen waren.

5. Aber das ist vielleicht immer noch zu dulden. Der Schmerz ist noch neu; die Betäubung des Schlachtgetümmels hat die Kräfte eraltirt. Nun aber kehrt die Besinnung zurück und der Verwundete fängt an, sein Elend zu fühlen. Fern von seiner Heimath, oft unter Menschen, deren Sprache er nicht versteht, muß er. Tag und Nacht seine Schmerzen dulden.

6. Er liegt im Unrath da und kann sich nicht helfen.

7. Seine Wäsche wird voll Schmutz; er kann sie nicht wechseln. Die Unreinlichkeit erzeugt Ungeziefer, das sich manchmal ohnehin schon vorfindet und so verliert er zusehends seine Kräfte, und

8. erkranket. Daher mir einmal Einer sagte, er sei mit einem dreifachen Uebel geschlagen: l. seine Wunde (ein Knochenbruch am Fuße); 2. sei er krank und 3. werde er von den Wandläusen (Wanzen) die ganze Nacht geplagt. Er hätte auch noch das 4. und 5., Flöhe und Läuse, dazu setzen können, welche ich häufig, selbst bei Franzosen, die doch gut und reinlich gehalten wurden, wahrnahm.



9. Der Geruch, der endlich bei der lange eiternden Wunde sich ansetzt, ist fast unerträglich und von einer pestilenzischen Art, daß ich mich oft wunderte, wie es Chirurgen und Wärter beim Verbinden aushalten können,

10. Wenn nun die Fäulniß überhand nimmt, so wird auf die Secirung des Gliedes angetragen; der Fuß, der Arm wird abgenommen— ein grausames Unternehmen, welchem der Kranke zwar nicht augenblicklich unterliegt, doch oft von Tag zu Tag schwächer wird, und ohne sich mehr zu erholen, dahin stirbt.

11. Kömmt er davon, welch' eine traurige Aussicht, sein ganzes Leben lang als ein Krüppel unter den Menschen zu leben, der sich mit einem hölzernen Fuße, mit einem lahmen Arme, mit einem zerschossenen Knie, durch die Welt schleppen muß.

12. Manchmal aber gibt es Verwundungen, die nebst den gräulichsten Schmerzen aller ärztlichen Hilfe spotten. So' befindet sich Einer unter den Oesterreichern, welcher nahe an den mannlichen Theilen verwundet wurde. Der Urin verließ seinen ordentlichen Weg und gehet durch die Wunde aus. Man mag sich den brennenden Schmerz denken — und nun im vierten Monate! wie wenig ist noch Hilfe da! — Einem Franzosen ist die halbe untere Kinnlade ganz weggeschossen. Er ist zwar jetzt in etwas geheilt, aber Essen und Reden ist noch immer etwas Schweres für ihn.

13. Sollte sich eine schamhafte Seele im Lazarethe befinden, so scheint es mir, daß sie im Lazarethe wohl noch mehr, als selbst im Lager zu leiden habe.

14. Was sich in der Länge der Zeit ergibt, wie jetzt, ist — daß der Eifer der Vorsteher ermüdet und das Mitleiden der Helfenden erkaltet. Heute zeigte mir ein Franzose Charpieen, von denen er mir sagte, daß sie schon zum dritten Male wären gewaschen worden. — Man denke sich, wie leicht ein Grundstoff von einer verpestenden Wunde zurückbleiben könne, der die schon sich bessernde Wunde wieder verschlimmert! — Wenigstens werden Manche, welche schon nahe an der Heilung waren, zusehends wieder schlimmer, und zwar äußerte sich dies schon vor der (Sommer-) Wärme, welcher Einige dies Verschlimmern zuschreiben könnten.


15. Was endlich die geistliche Hilfe betrifft, so besteht sie höchstens darin, daß Jene, bei welchen es gefährlich aussieht, ermahnt werden, die heiligen Sterbsakramente zu empfangen. Dann läßt man sie liegen, und gewöhnlich sich selbst besorgen, so daß ich noch bei keines Einzigen Tode zugegen war. Wie viele aber sterben selbst ohne Sakramente dahin! —

16. Und wenn sie tod sind, der letzte Trost und das letzte Labsal christlicher Eltern und Verwandten — ein ordentliches Begräbnis, auch dieses mangelt ihnen noch. Gleich dem Viehe werden sie nackt in einen Bund Stroh gewickelt, auf einen Wagen geworfen, hinausgeführt ohne Sang und Klang, ohne Priester, und ohne eine klagende Seele scharrt man sie in eine gemeinschaftliche Grube ein, daß keine Mutter ihre Grabstätte finden und keine Schwester eine mitleidige Thräne auf ihr Grab weinen kann. Dieß könnte doch so leicht anders sein." . . .


Bild aus dem Buch von Wackenreiter, Ausschnitt

Bild aus dem Buch von Wackenreiter, Ausschnitt; Stadtamhof von Norden aus gesehen


Es folgen Details aus dem Bild "Vue du siège de la ville Ratisbonne par les troupes françaises et par l'armée alliée le 23 may 1809"


http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8413540h
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8413540h





Ausschnitte (verschiedene zoom-Stufen):

Die Österreicher wurden von französischen Truppen durch die Stadt und Stadtamhof getrieben und sammelten sich auf dem Dreifaltigkeitsberg auf den Winzerer Höhen. Von dort aus bombardierten sie die Franzosen. Ein Denkmal am heutigen Österreicherweg erinnert daran.

Das dürfte das Jakobstor gewesen sein, die linke Straße die heutige Prüfinger Straße.

Die Zoomstufen lassen sich stark erhöhen und man sieht Details


Das müsste das Peterstor sein. Dort war der eine der beiden Hauptangriffspunkte für die Franzosen, nachdem sich die Österreicher in der Stadt verschanzt hatten. Leider waren die (eigentlich nicht mehr benutzten) Stadtmauern noch nicht abgetragen, so dass die österreicher die Mauern und die Tore ein letztes Mal zur Verriegelung benutzen konnte. Ich sage "leider", weil dadurch erst die Bombardierung der Stadt notwendig wurde. Die Brände bei dieser Schlacht haben das Stadtbild von  Regensburg merklich verändert.

Die dreieckige Schutzmauer ist Teil der Befestigungsanlagen außerhalb der Stadtmauer (sogenannte "Fortifikation") und befindet sich etwa dort, wo heute der Stobäusplatz ist. Allerdings dürften sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgetragen worden sein (Alleengürtel), so dass hier der Künstler wohl auf ältere Zeichnungen zurückgegriffen hat und seine Fantasie walten ließ.






Ganz rechts das Ostentor, dahinter Donau, drüben Weichs. Vom Blickwinkel her muss der Betrachter auf der heutigen Augsburger Straße gestanden haben. Der Bereich hinter der hier sichtbaren Stadtmauer war der Bereich nördlich der Von-der-Tann-Straße (das ist der Weg direkt hinter der Mauer an der mauer entlang), der Bereich außerhalb ist der Parkstreifen an der Landshuterstraße, gegenüber dem alten Finanzamt. Die beiden Kirchen? Da bin ich mir nicht sicher.

Die Kirche in der Mitte mit dem roten Dach könnte die Obermünsterkirche sein, die Kirche links dahinter mit dem blauen Dach müsste die Dominikanerkirche "St. Blasius" sein (Bismarckplatz/Predigergasse) Dort wo sich die Franzosen versammelt haben, ist heute der fürstliche Schlossgarten.

Der Betrachter stand etwa an dieser Stelle, das dürfte der Bereich der Augsburger Straße (vielleicht kurz vor dem Übergang zur Bischf-Wittmann-Straße) sein.

Die Gebäude unten rechts könnten Kumpfmühl sein. das Gemäuer mit dem umzäunten Garten könnte Teil der Prinzengärten gewesen sein.
Der offizielle Titel enthält einen Datierungsfehler; er lautet:
Vue du siège de la ville Ratisbonne par les troupes françaises et par l'armée alliée le 23 may 1809, sous comendement du grand héros L'Empereur de France Napoléon et Roi d'Italie ou par l'irruption du feu de Breche dans le Mourialles de la ville la bataille s'étandait dans tous les rues : [estampe]

  • Titre : Vue du siège de la ville Ratisbonne par les troupes françaises et par l'armée alliée le 23 may 1809, sous comendement du grand héros L'Empereur de France Napoléon et Roi d'Italie ou par l'irruption du feu de Breche dans le Mourialles de la ville la bataille s'étandait dans tous les rues : [estampe] (Hinweis: Müsste 23. April 1809 lauten)

Ein weiteres Bild zeigt die Schlacht von Norden aus, allerdings mit vielen historischen Fehlern. So kamen die Franosen nicht von Norden her in die Stadt, außerdem gab es den mittleren Turm der Steinernen Brücke nicht mehr - der war 1784 abgebrochen worden. Außerdem verläuft die Steinerne Brücke nicht eben, sondern hat einen Knick.

Hier hat wohl der Künstler, der im Auftrag Napoleons die Schlacht darstellte, auf alte Stiche von Regensburg zurückgegriffen, vielleicht mit Erzählungen von anwesenden Soldaten verknüpft.