Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Donnerstag, 3. März 2016

Gelungene Eröffnung der Ausstellung zum Burgfrieden


Bürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer



Gestern war die sehr gelungene Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung über das Burgfriedensprojekt. Die Ausstellung ist täglich zu besichtigen im Welterbezentrum im Salzstadel, gleich neben den leckeren  Bratwürschteln.

Einleitend  sprachen, jeweils sehr lebendig und engagiert, Bürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer (hauptberuflich Archäologin) und  Dr. Peter Morsbach (Kunsthistoriker, Verleger, hier aber in seiner Eigenschaft als Professor der OTH Regensburg, die projektbeteiligt ist).  Anschließend erklärten die Protagonisten und ehrenamtlichen Burgfriedensforscher Manfred Jauck und Martin Kempter in einem gemeinsamen Auftritt ein paar Einzelheiten zu den Säulen.

Das Original-Redemanuskript findet der geneigte Leser am Ende dieses Artikels.



Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt von: Deutsche Stiftung Denkmalschutz, der Jugendbauhütte Regensburg, der Welterbekorrdination der Stadt Regensburg und der Hochschule OTH Regensburg (Masterstudiengang historische Bauforschung)


Maltz-Schwarzfischer

Dr. Peter Morsbach


Manfred Jauck, Martin Kempter





Manfred Jauck, Martin Kempter








Rechts im Bild: Autorin Rita Lell, die schon wieder an ihrem nächsten Regensburg-Buch arbeitet



Redemanuskript Jauck/Kempter:

Manfred Jauck:
Man könnte meinen, dass zu einem Thema alles geforscht und gesagt ist:

21 Steine sind relativ überschaubar im Vergleich zu den vielleicht 100.000 Steinen der Steinerne Brücke oder der halben Million, die am Dom verbaut wurden.

Das historische Geschehen ist seit rund 200 Jahren abgeschlossen.

Seit 1973 gibt es das Bayerische Denkmalschutzgesetz, also dürfte es eigentlich keine Verluste mehr geben. (tatsächlich: seitdem 4 Säulen aus dem Gelände verschwunden, davon 2 spurlos)

Der Burgfrieden ist nichts anderes als das Territorium der Reichsstadt Regensburg. Die Ausdehnung eines solchen Territoriums ist normalerweise ein Thema, das in der Geschichtsforschung an vorderster Stelle interessiert. Viel wurde schon gesagt über die Ausdehnung des Römerlagers Castra Regina, über die Entstehung des Verlaufs der Grenze zwischen Ahlbeck und Swinemünde nach 1945, über die Festlegung der Grenze zwischen Falkenstein und Probstzella, weil die Grenze durch die Küche des Brauereigasthofes ging. Und sogar über die Grenze zwischen Franken und Bayern. Grenzen markieren die Größe von Territorien und den Einflussbereich von politischer Macht. Auch über den Burgfrieden scheint alles gesagt und geschrieben. Wie kann dann am Burgfrieden, der immerhin mehr als ein halbes Jahrtausend Bestand hatte noch irgendetwas Neues auftauchen?

Martin Kempter:

Tatsächlich aber erweist sich der Regensburger Burgfrieden oft als das große unbekannte Wesen. Viele kennen ihn gar nicht. Manche kennen immerhin die Säule vor ihrer Haustür, und dann steht so manches im Internet, in Büchern und in der Zeitung. Nicht alles davon hält einer Überprüfung stand.

2 oder 3 Beispiele:
Das beginnt schon bei der Anzahl: In der 1996 erschienen Ausgabe der Regensburger Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte von Karl Bauer heißt es: "Diese Burgfriedensgrenze war durch 21 Grenzsteine [...] gekennzeichnet, von denen sich ein knappes Dutzend in unsere Tage rettete.". Hätte jemand im Jahr 1996 das "knappe Dutzend" im Gelände nachgezählt, wäre er auf gerade mal 9 Stück gekommen, und auch das nur, wenn man Säulenstümpfe, Nachbildungen und weitab vom Originalort wieder aufgestellte Säulen mitzählt. Aber damit war die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Erst im Winter 1999/2000 ist wieder eine Säule verloren gegangen! Ohne dass der sonst von vielen Bauherren gefürchtete Denkmalschutz davon etwas mitbekommen hat, wurde der Acker am Stadtrand auf dem sie gestanden hatte, zum Bauhof einer bekannten Regensburger Baufirma umgewandelt. Unsere Nachforschungen, die wir über die gesamte Stadt und den Landkreis ausgedehnt haben, haben zwar die Säule nicht ans Tageslicht gebracht (doch dafür bekommen wir jetzt regelmäßig Stellenangebote vom CIA ...)

Kommen wir nach Kumpfmühl: "Die Säule an der Nordmauer des ehemaligen Karmelitengartens in Kumpfmühl ([die Nr. ] 11), jetzt Altenwohnanlage Kumpfmühler Straße/Gutenbergstraße, steckte bis zum Kopfstück im Erdreich. Wegen der Bauarbeiten wurde sie entfernt, deponiert, jedoch bis jetzt nicht wieder aufgestellt." So hieß es vor 20 Jahren im BAUER und so war auch die einhellige Meinung der Forschung. Dem lag aber eine Verwechslung zu Grunde. Die bisherigen Forscher haben nämlich offenbar wie Kolumbus mit der alten Karte in der Hand die Örtlichkeiten abgeschritten - sie sahen die Säulen Nr. 9 und Nr. 10 - die nächste musste also wohl die Nr. 11 sein. Nimmt man aber die alte Karte der ersten Katastervermessung von 1811, die übrigens mit hoher Präzision eingemessen ist, und legt sie auf unsere heutigen Karten, so stellt man fest, dass man eine Säule übersprungen hatte. Die vermeintliche 11 war also in Wirklichkeit schon die Nr. 12. Der Standort der echten Nr. 11 war, wie man Luftbildern entnehmen kann, Mitte der 50er Jahre der Verbreiterung der Kumpfmühler Straße zum Opfer gefallen, und deshalb Anfang der 70er Jahre, als sich die Steinkreuzforschung für den Burgfrieden zu interessieren begann, nicht mehr als solcher zu erkennen. In der 2014 erschienen Neuauflage des BAUER durften wir diese Verwechslung berichtigen. Auf diese Weise haben wir dem auf manchen Karten arg deformierten historischen Kumpfmühl wieder zu seiner ursprünglichen Form verholfen.


Neue Erkenntnisse auch zur Säule 14, der einzigen erhaltenen Kreuzsäule. Am alten Weg nach Oberisling "stand bis Mitte der 1960er Jahre eine Kreuzsäule. Sie erhielt einen neuen Standort nächst dem Universitäts-Sportgelände, 300 Meter von ihrem ursprünglichen Platz entfernt.", konnte bis vorletztes Jahr jeder Regensburger im BAUER und andernorts nachschlagen. Durch die Einmessung des heutigen Standorts auf dem Uni-Sportplatz und des Standorts im Urkataster und der jeweiligen Höhenlinien ergibt sich ein anderes Bild: Die Säule steht nicht 300 m von ihrem ursprünglichen Platz entfernt, sondern 6 m! Und diese 6 m sind keine horizontale Entfernung, sondern ein Höhenunterschied!! Soweit wurde nämlich im Jahr 1969 beim Bau der Uni dort das Gelände aufgefüllt, um eine Senke auszugleichen. An der Lage hat sich nichts geändert! Dass so etwas nicht auf Zufall beruhen kann, war schnell klar. Nachdem die Archive dazu nichts hergaben, haben wir die Oral History bemüht, und sind bei einem kundigen Zeitzeugen fündig geworden, nämlich beim damals für den Bau zuständigen Abteilungsleiter und späteren Leiter des Unibauamtes, Herrn Rudolf Deschermeier. Er erinnerte sich genau, wie man den alten Stein - genau wie jeden anderen Grenzstein auch - als gültiges Rechtsmerkmal angesehen hat, und ihn daher selbstverständlich wieder an seinen alten Platz zurückgestellt hat, nachdem das Gelände planiert war. Auch wenn der Denkmalaspekt dabei keine Rolle gespielt gespielt hat: Soviel Respekt vor dem Bestehenden würde man sich für manches Denkmal heute wünschen. Tatsächlich hat sich das Stadtgebiet an dieser Stelle erst mit der Eingemeindung von Burgweinting und Oberisling im Jahr 1977 nennenswert über die alte Burgfriedensgrenze hinaus ausgedehnt.
Manfred Jauck:
Auch jetzt ist die Forschung noch nicht abgeschlossen. Durch Untersuchungen an den vorhandenen Säulen und Auswertung von Quellen kommt immer wieder Neues ans Licht über den Burgfrieden. Ein besonderes Highlight wäre natürlich die Wiederentdeckung einer verschollen geglaubten oder die Wiederaufstellung einer eingelagerten Säule. Zu ersterem braucht es Glück, für letzeres müssen jeweils eine Vielzahl Beteiligter gewonnen werden. Es besteht bei mindestens einem Standort tatsächlich berechtigte Hoffnung, dass das gelingt. Um den Regensburgern ihren Burgfrieden zurückzugeben, halten wir nun im 4. Jahr Vorträge, Führungen und Fahrradtouren in Zusammenarbeit mit der Welterbekoordination, mit der Volkshochschule und dem ADFC. Dabei erhalten wir stets positive Reaktionen. Besonders gefreut haben wir uns, als wir bei einem Vortrag den letztes Jahr bedauerlicherweise verstorbenen Professor Dünninger, als Zuhörer hatten. Als wir ihn, den großen Kenner und Vermittler der Geschichte von Regensburg nachher fragten, ob wir alles richtig wiedergegeben hätten, sagte er ganz offen, dass das Thema für ihn Neuland wäre.

Damit kommen wir zur vorliegenden Ausstellung: Sie reiht sich in die Kette der Bestrebungen, den einst so bedeutsamen Burgfrieden wieder zu etwas werden zu lassen, mit dem die Regensburger sich identifizieren und als Teil ihrer Geschichte begreifen. Besondere Bedeutung bekommt die Ausstellung durch die Beteiligung der Jugendbauhütte mit ihren Aktivitäten zur Neuvermarkung des Burgfriedens. Ein bisschen wirkt die Burgfriedensgrenze wie ein Gebiss mit Zahnlücken. Hier steht ein Stein, hier fehlt einer, und hier gibt es noch einen Stumpf. Vielleicht schließt diese Ausstellung nicht nur die Wissenlücken, sondern, indem der Burgfrieden wieder populär wird, auch die realen Fehlstellen zu schließen, so dass man dort, wo im Lauf der Zeiten eine Säule ausgefallen ist, eines Tages wieder einen neuen, vielleicht modernen Stein findet, der davon kündet, wie weit hinaus die Stadt Regensburg sich einst erstreckt hat.
Vielen Dank!