Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Dienstag, 19. Juli 2016

Hungerzipfel Obermünsterstraße und Unternehmer als Lemminge

Obwohl mittlerweile das Parkhaus Petersweg wieder eröffnet ist, hungert das Obermünsterviertel weiter vor sich hin. Seit ich dort im Jahre 2013 in der Galerie Kunstzelle engagiert und von der Parkplatzmisere direkt betroffen war, beobachte ich intensiv die Entwicklung dieses hochgepriesenen und ach so toll sanierten Viertels - das aber nun mal kaum noch Kurzzeitparkplätze besitzt, und in das sich nur wenige Altstadtspaziergänger verirren.

Und der jüngste Spaziergang dort zeigt, dass sich nichts geändert hat

Der Laden der ehemaligen "Kunstzelle" in der Obermünsterstraße; Foto vom Juli 2016


Geschäftsaufgabe Obermünsterstraße, Juli 2016


Der Laden der ehemaligen Galerie, dort wo wir mit der Kunstzelle ein Jahr lang gegen die Umstände kämpften. Er ist schon wieder leer.

Zum wiederholten Mal, wenn ich mich nicht irre. Sind vielleicht doch die Vermieter mit schuld? Mit unnachgiebiger Einstellung im Sinne von "lieber steht das Ding leer, als dass ich bei der Miete heruntergehe?" Ist das überhaupt der Miseregrund für die Altstadt? Könnte ja auch sein, denn von Reza weiß ich, dass  in Schwabing Lokale zu günstigeren Mietpreisen als in Regensburg angeboten werden.

Nun ja, sicherlich ist das nicht der einzige Grund,, sonst wäre ja nicht das ganze Quartier betroffen. Man sollte jedenfalls Läden in dieser Zeile nicht als 1a-Lage annoncieren. Denn es gibt eine offizielle Karte und Klassifikation der einzelnen Straßen, und zu den 1a-Lagen gehört die Obermünsterstraße nicht.

Nach wie vor nicht, erstaunlicherweise. Trotz Viertelsanierung, trotz Parkplatzneubau. Aber warum eigentlich?

Ursachenforschung ist angesagt. Denn die Geschäftsinhaber in der Gegend sind arme Schweine. Äh ... nein, das war jetzt der falsche psychologische Ansatz. Denn das interessiert in der Verwaltung niemand. Aber man will, dass das Viertel floriert, im Interesse des guten Rufs von Regensburg, im Eigentinteresse, damit man stolz darauf verweisen kann, wie man das Viertel zum Florieren brachte. Also Leute: Ursachenforschung ist angesagt.



Zurück zur Obermünsterstraße: auch die freundliche Dame, die den Kinderbekleidungsladen betrieb, gibt auf - allerdings aus mir unbekannten Gründen. Ich habe nur die Räumungsschilder gesehen. Und einige andere Läden haben ihren Besitzer gewechselt, hier in der Gesandtenstraße und den Seitengassen. Alles innerhalb der letzten paar Jahre.


Geschäftsaufgabe Obermünsterstraße

Gesamte Altstadt betroffen?

Ein Artikel in der MZ vom 9.7. macht deutlich, dass nicht nur die Obermünsterstraße betroffen ist Allerdings unter einer erst mal missverständlichen Überschrift "Die Gesandtenstraße schlägt sich wacker." und dann der aussagekräftige Untertitel: "Regensburgs City hat weniger Zugkraft – und auch deren Geschäfte. Bei der Frequenzzählung fiel nur eine Straße positiv auf."

Liest man also genau und gründlich, erfährt man: die jährliche Frequenzzählung in der Altstadt war NEGATIV.

Von der Gesandtenstraße abgesehen natürlich, das ist die Flaniermeile, das ist kein Kunststück.

Aber was solls, die Unternehmer werden schon irgendwie klar kommen. Und Parkplätze existieren angeblich genug, sagte der Bürgermeister, womit er hoffentlich nur die Meinung der Stadtverwaltung wiedergab, und nicht seine eigene.

Selbständige als Lemminge der Nation

"Habt Mut, macht euch selbständig" sagen unsere Minister alle paar Jahre in den Medien.

Pfffh!  Lemminge, sag ich nur. Als wenn man Lemminge vor sich her treibt, in der Hoffnung, es bleiben genug übrig, um die Wirtschaft aufrecht zu erhalten.

Das klingt wie Wirtshaus-Gejammer. Aber ich befasse mich jetzt  seit 40 Jahren mit dem Thema Existenzgründung, war jahrelang bei dem Existenzgründerverein "Alt hilft Jung Bayern e.V.", dessen Seminarbetrieb ich vor 20 Jahren mit aufgebaut habe, ferner habe ich genug eigene Erfahrungen als Selbständiger. Und aus 25 Jahren aktiver Anwaltszeit habe ich die Sorgen und Nötie von Mandanten, die ich betreut habe, mitverfolgen können. Das ist kein Wirtshaus-Gejammer, kein Sudern.

Lemminge, jawohl. Kein bezahlter Urlaub, kein 8 Stunden-Tag, kein Abschalten nach Dienstschluss, voller Einnahmeausfall bei weiterbestehenden Kosten, wenn man krank ist. Viele Außenstände, und damit das altvertraute Phänomen "das Geschäft brummt aber das Konto brennt".

Wenn Kunden pleite gehen, wird man mitgerissen. Und überhaupt:  das volle unternehmerische Risiko, bei Verdiensten unterhalb eines Sekretärinnengehalts (das glaubt ihr nicht? Fragt mal einen Steuerberater).

Innerhalb von sieben Jahren geben drei Viertel aller Existenzgründer auf!  

Das war die unglaubliche Statistik vor 40 Jahren, als ich mich das erste mal in das Thema einlas. Und das sagt die Statistik bis heute!


Über Unternehmer macht macht man sich keine Sorgen

Unternehmer ... über die müssen wir uns doch keine Gedanken machen, das sind ja iun unserem Hinterkopf so ein bisschen die "Reichen", die "Kapitalisten". Und als sozial-kritisch denkender Mensch (zu denen der Autor gehört, wohlgemerkt) will man sich nicht wirklich mit deren Problemen befassen, das wäre ja die falsche Richtung, oder? Wir verfolgen doch die ganze Zeit kritisch die Leiharbeit, die Heuschreckendebatte, den Kündigungsschutz und so weiter. Da können wir uns doch nicht Sorgen um die auf der anderen Seite machen, die Arbeitgeber, und somit die Unternehmer (nicht ganz kongruent, die Begriffe, gell?)

Ach Leute... wir haben  ja keine Ahnung.

P. Burkes, 2016

Aus alten Tagen: 2013, die Kunstzelle
Obermünsterstraße (2013)
Obermünsterstraße (2013)