Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Donnerstag, 1. Mai 2008

Die Eiche erwacht

Dieser Artikel wurde im August 2014 so gut es ging restauriert. 
Leider sind einige Bilder verschollen geblieben.

Einer der Gründe, warum ich lieber auf dem kleinen Balkon mit dem verrosteten Geländer sitze, der von der Küche aus erreichbar ist, statt auf der großen schönen Balkonterasse, dürfte wohl auch der Blick auf die Eiche sein. Inmitten einer grünen Insel, die man zwischen den alten Wohnblocks und der Bahn nicht vermutet, thront sie hier seit vielen hundert Jahren, und spannt ihre Äste mit einer Spannweite von 30 Meter hinweg über Nachbars Rasen. Nur die letzten Stürme haben ihrer wohlgeformte Krone schwer geschadet.


Seit 30 Jahren begleitet und erfreut sie uns in allen Jahreszeiten und zu allen Tageszeiten mit verschiedenen Facetten. In obigem Foto z.B. am Abend des 29. Aprils, während die Sonne für die Garten Sitzenden bereits unter dem Horizont ist, die Krone aber noch erleuchtet wird. Zwei Spechte haben sich dieses Jahr schon eingenistet, und liegen um diese Uhrzeit wahrscheinlich noch immer auf ihren kleinen Spechtsommerliegen beim Sonnenbad, die Specht-Sonnenbrille aufgesetzt, und mit Faktor 20 eingecremt.




Die Eiche am Morgen des 29. April (links) und am Morgen des 1. Mai (rechts).

Eine Besonderheit dieses riesigen Baumes, der einen kleinen Wald ersetzt und entsprechend vielen Vögeln Platz bietet (was nicht immer gut ist; Sie wissen ja: "5 Uhr morgens, die Vögel brüllen"), ist die Verzögerung beim Ausschlagen im Frühjahr. Während die umstehenden Obstbäume und Sträucher bereits grüne Spitzen bekommen, sind die Äste der Eiche noch kahl. Wenn das Laub der kleineren Bäume bereits voll ergrünt ist, entfaltet sich die Eiche erst in filigranen und frühlingszartem Grün. Das liegt einfach daran, dass der Saft länger braucht, bis genügend davon in die Zweige geflossen ist. Aber dann geht's schnell, wie man oben sieht.

Übrigens: im Herbst ist es umgekehrt - die Eiche verliert ihre Blätter erst, wenn die übrigen Bäume bereits kahl sind.

Im Sommer, wenn die Eiche voll ergrünt ist, sieht das ganze so aus:




Böse Zungen behaupten, dass der Baum nur deshalb so spät dran ist, weil die vorbeifahrenden Züge die ersten Blätter wegwehen und die Äste immer wieder von vorne produzieren müssen. Das ist natürlich Unfug. Allerdings, für Wermutstropfen sorgen manche Züge schon.

Zwar haben wir, als wir vor 30 Jahren eingezogen sind, die Züge schon nach drei Tagen kaum mehr registriert, wie das bei Bahnanwohnern üblicherweise so läuft. Nur wenn wir im Freien sitzen und die Unterhaltung mal eine Minute lang einstellen müssen, bis der Güterzug vorbei ist, werden wir an die Bahn erinnert, und damit kann und muss man leben. Aber in den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, dass die Personenzüge, die "an sich" immer leiser werden, mit so hoher Geschwindigkeit vorbeischießen, dass sich das Geräusch, wesentlich lauter als jeder Güterzug, wie ein Messer durchs Hirn schneidet. Und von einem gleichmäßigen Geräusch kann man da auch nicht mehr reden, da diese Züge hinter dem Nachbarhaus oder anderen Geräuschhindernissen hervorkommen.

Jemand hat mir gesagt, dass das dann passiert, wenn Züge zu spät dran sind, und die Zugführer schneller als die Richtlinien es vorsehen einfahren. Denkbar wär's, im Zug selbst dürfte das Geräusch ja immer gleich laut, bzw. dank verbesserter Technik sogar leiser als früher sein.

Auf jeden Fall, ich bin neugiertig, wie lange die Spechte das aushalten. Vielleicht sehen wir sie eines Tages mit kleinen Specht-Kopfhöreren auf?