Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 5. Februar 2023

Faszinierende Vielfalt und meditatives Betrachten - "Unter Bäumen" im KuG

Im Kunst- und Gewerbeverein gibt es noch bis 19. Februar die Ausstellung "Unter Bäumen"




Ich war schon vier mal dort. Und ich werde mit Sicherheit noch öfters reinschauen. Jedesmal, wenn ich in der Stadt bin und etwas Zeit übrig habe. 

Und ich weiß im voraus, ich werde jedesmal länger als geplant verweilen. Ich werde - nach meinem obligatorischen Blick in den Baumstamm mit dem Titel "Wirbel" - mich vor die riesigen Grafiken stellen und ausschnittweise Details betrachten. Ich werde wiederholt die jeweils verwendete Technik studieren, werde bewundern, dass man mit diesen verwirrenden Details auf drei Meter Entfernung die Illusion eines Fotos erzeugen kann. Ich werde mich über die vielfältige Makro-Struktur von Spanplatten wundern, die eigentlich für sich schon eine künstlerische Darstellung wert wäre und erst durch das Hell-Dunkel-Spiel hervorkommt (ein Nebeneffekt, der vom Künstler anfangs sicher nicht gewollt war). 

Aber vor allem weiß ich, dass ich während dieser Betrachtungen in einen meditativen Zustand verfalle. Diese Bilder werden nicht langweilig, wenn man sich Zeit nimmt.

Wenn mich jemand fragt, was in der Ausstellung dieser beiden Künstler zu sehen ist: Grafiken und Holzskulpturen. Grafiken in verschiedenster Technik - Radierungen aller Art, Aquatinta-Druck, Faserstifte oder Kohle-Asche-Lehm auf Papier. Und Holzskulpturen von Georg Thumbach, bei denen das Innere von Baumstämmen herausgearbeitet wird. Und als Zwischending zwischen Grafiken und Skulpturen gibt es noch bearbeitete Spanplatten, die wie Fotos wirken. Dazu später.

Das Ausstellungs-Thema ist "Unter Bäumen", also stellen die Holzspkultpuren keine Menschen dar, sondern anatomisch zerlegte Bäume, und die Grafiken zeigen Geflechte von Ästen, Zweigen, Wiesenflächen, oder das Lichtspiel auf Waldlichtungen.

Vor allem die Holzskultpuren werfen jeden neuen Besucher erst mal richtig um, so faszinierend sind die Ideen, so unglaublich ist die Technik. Wie schaffte der Künstler es, die unregelmäßig geformten Baumringe Stufe für Stufe herauszuschälen? Mit einer CNC-Fräse geht das bestimmt nicht.  Und nebenher lernt man einiges über Bäume. 





Bei meinem zweiten Besuch war ich in Begleitung einer Forstfachfrau, die mir den einen oder andere Hintergrundinformation gab. Zum Beispiel, was ein "Zwiesel" ist, denn bei der  Skulptur im Galerie-Saal heißt es "Fusion - Fichtenzwiesel auf Stahlplatte". Von einem Zwiesel spricht man, wenn sich der Baumstamm während des Wachstums in zwei Haupttriebe gespalten hat, die zwar ab der Spaltung eigene Baumringe haben, aber immer wieder (oder ständig) miteinander verwachsen. Einen solchen, mehrere Meter großen Zwiesel hat der Künstler auf raffinierte Weise anatomisch zerlegt und im Galerien-Saal ausgestellt





Auf keinen Fall dürft ihr an dem quer über den zweiten Raum gespannten Baumstamm vorbeigehen, der den Titel "Wirbel" trägt. 





Der Baum ist hohl, auf einem Ende aufgebohrt, am anderen Ende geschlossen und man soll durch das Loch in den Baumstamm blicken. Durch die Astlöcher an den Seiten ist der Baum innen natürlich "beleuchtet" und es eröffnet sich eine fantastische 3D-Landschaft. 

Ein kleiner Holzblock am Betrachter-Ende dient als Schemel. Wie die meisten Besucher glaubte auch ich beim ersten Besuch, dass der Holzblock eine Skultpur ist, und der Baumstamm eben ein Baumstamm. Bei meinem zweiten Besuch war meine Begleiterin zunächst auch dieser Meinung, bis sie jemand auf dem Schemel stehen sah, in den Baum blickend. Erst danach war uns der Sinn klar.  "So etwas wirst du nie wieder in deinem Leben sehen", meinte meine Begleiterin zu Recht, und schon deshalb werde ich Stadtbesuche benutzen, um einen Blick in die Ausstellung zu werfen (übrigens ein Tipp für Nichtmitglieder: der KuG bietet generell an, dass man mit dem Lösen einer Eintrittskarte für eine Ausstellung auch an allen anderen Tagen diese Ausstellung besuchen kann).

Dieser faszinierende Blick in das Innere ist übrigens auf der Homepage abgebildet, und ich habe es in einer Zeitschrift bei den Veranstaltungshinweisen gesehen. Das Foto kann aber nicht die echte Wirkung wiedergeben, den die dreidimensionale Betrachtung beim Blick in das Bauminnere ergibt.

Das ist auch das Problem mit den anderen Bildern, die man in den Veranstaltungshinweisen oder auf der Webseite des KuG sieht. Denn das sind nur zweidimensionale Abbildungen von riesigen Werken auf mehreren Quadratmetern. Beim ersten Hinsehen denkt man sich vielleicht "Aha, Strukturbilder von Ästen und Wiesen, schön" und vielleicht glaubt mancher, das werde aber eintönig. Manche der riesigen Grafiken hält man für stark vergrößerte Fotos. 

Aber wenn man dann vor den Werken mit mehreren Quadratmetern steht und die Einzelheiten studiert, ist man fasziniert. Erst in einiger Entfernung lösen sich die Grafik-Stukturen auf und man hat den Eindruck einer Zeichnung oder eines Fotos.





Ein Zwischending zwischen Grafik und Holzskulptur sind die großen OSB-Spanplatten, die der Künstler Georg Thumbach so raffiniert geflämmt und geschliffen (oder mit Kettensäge bearbeitet) hat, dass sich auf einige Meter Entfernung der täuschende Eindruck eines Fotos von Holzgeäst ergibt. 

Und hier könnte ich mich jedesmal wieder in den Details verlieren. Wie schon eingangs erwähnt - irgendwann bin ich in einem meditativen Zustand, bei der sich Bewunderung über die Technik mit Faszination über die Ministrukturen vermischt. 

Ein Bekannter hat mich gefragt, ob der Künstler die Faserstrukturen in OSB-Platten als Äste oder Zweige verwendet hat. Nein, die Platte ist über größere Flächen geflämmt und bearbeitet, und nur manchmal ergibt sich eine zufällige Übereinstimmung einer Holzfaser, die längst einem Ast verläuft. 



Nur scheinbar ein Foto - OSB-Spanplatte, geflämmt und geschliffen. Die Unebenheiten dieser Spanplattenbilder kann man mit keinem einzigen Foto wiedergeben - dazu muss man davorstehen




Übrigens bin ich immer wieder erstaunt über die Tatsache, dass viele Zweige von positiv auf negativ und umgekehrt wechseln. also von schwarz geflämmt (auf geschliffenem hellen Untergrund" zu hell geschliffen (auf geflämmten Untergrund) und wieder hin zu schwarz auf hellem Untergrund.  

Auch ist mir aufgefallen, dass bei den verschiedenen Spanplattenbildern zwar eine ähnliche Grund-Technik verwendet wird, sich aber bei näherem Hinsehen verschiedene Farbeffekt ergeben. Offenbar hat der Künstler mit verschiedenen Varianten experimentiert. 

Dass er sich nicht auf ein paar Methoden beschränkt, merkt man auch bei einem Blick in die herumliegenden Bücher des Künstlers. Diese sind nicht auf das Thema "Unter Bäumen" beschränkt und zeigen auch ganz andere Werke - und somit die enorme Vielfalt an Ideen und Techniken, mit denen er  experimentiert. Das gilt übrigens genauso für den Künstler Raimund Reiter!






Die Faserstrukturen von OSB-Platten passen perfekt in das Motiv dieser Bilder



Bei meinem zweiten Besuch - zusammen mit einer Begleiterin von auswärts - stießen wir zufällig auf eine Führung mit Tony Kobler und den Künstlern. Wir hatten allerdings nicht die Zeit, uns der  zweistündigen Führung anzuschließen, auch wenn wir gerne einige Fragen zur verwendeten Technik gestellt hätten. Es gibt mittlerweile nur noch eine Führung, und zwar am 12.02.2023 um 14 Uhr, und diesmal ohne Künstlerbeteiligung. Die Führung erfolgt in Kooperation mit der Volkshochschule statt (Anmeldung und Information: Tel. 0941-507 2433)



Raimund Reiter, Georg Thumbach, im Gespräch mit
Tony Kobler und Antonia Kienberger vom Kunst- und Gewerbeverein

großer Andrang am 22.Januar: Führung und Künstlergespräch

Eine perfekt strukturierte Hängung in allen Räumen (hier in dem Saal mit der Galerie)




"Wirbel" - drehwüchsige Kiefer auf Stahlstützen, fast 4 m lang

Auf der rechten Bildhälfte: drei Bilder, z.T. Kohle auf Papier, das mittlere "Kohle und Lehm" auf Papier.


Es gäbe noch mehr zu sagen, z.B. zu herrlichen Grafiken von Raimund Reiter. Aber ich empfehle: seht Euch die Ausstellung an. Und nehmt Euch Zeit, die Details und die jeweils verwendete Drucktechnik zu studieren.


Hier noch ein paar Daten zu den Künstlern und der Ausstellung:

Raimund Reiter

Raimund Reiter, geb. 1950 in Eichendorf, betreibt seit 1985 ein druckgrafisches Atelier in Ergolding-Piflas bei Landshut. Er ist Mitglied der Münchener Secession, ferner Mitglied im Verein für Originalradierung München, im Kunstverein Landshut und im BBK Ndb./Opf.
(Näheres unter: www.raimund-reiter.de)

Georg Thumbach

Georg Thumbach, geb. 1972 in Landshut, studierte an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Fridhlem Klein und Prof. Ben Willikens. Er lebt und arbeitet seit 2008 in Fürstenzell bei Passau.
(Näheres unter www.georg-thumbach.de)

Ausstellung
"Unter Bäumen" von  Raimund Reiter & Georg Thumbach
14.01. - 19.02.2023
Kunst- und Gewerbeverein, Ludwigstraße

Noch eine Führung, und zwar am 12.02.2023 um 14 Uhr