Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Samstag, 30. April 2011

Wenn der Dauerlärm nervt (Teil I): Die Bahn startet durch!

Heute am 27. April ist der  „Tag gegen Lärm", in der Presse fälschlicherweise "Tag des Lärms" genannt. Das heißt, eigentlich ist es gar nicht so fälschlich:  für uns,die wir in der Nähe einerr Bahnstrecke wohnen. Indiesem mehrteiligen Bericht will ich dem Leser aufzeigen, welch unglückliche Entwicklungen den Versprechungen  zuwiderlaufen, mit denen man die Bürger seit Jahren einlullt.


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Lärm macht krank! Da sind sich die Medien ausnahmsweise alle einig - BILD wie Süddeutsche Zeitung. Sie verweisen auf den "Tag des Lärms", der eigentlich "Tag gegen den Lärm" heißt und eine eigene Webseite hat: www.tag-gegen-laerm.de. Im ersten Teil dieser Reportage gehe ich auf eine bundesweite Entwicklung im Bereich Schienenlärm ein, im zweiten Teil Teil gehe ich auf eine völlig neuartige Lärmbelästigung ein, die im Regensburger Stadtosten durch die Privatisierung der Bahn entsteht.


Die Bahn startet durch!


Es begann im Jahre 2008. Ein Zug rauscht vorbei, völlig unerwartet, ohne die übliche Vorwarngeräusche,. Das Zischen ist  so laut, dass es schmerzhaft wie ein Messer durch den Kopf schießt. Die Anwohner an der Bahnstrecke in Regensburg, die sich gerade im Garten oder am Balkon aufhalten, oder die Passanten, die sich im Bahnhofsbereich bewegen, schrecken auf.


Das ist etwas anderes, als der übliche Bahnlärm, den die Anwohner gar nicht mehr wahrnehmen. Wer an die Bahn zieht, bekommt meist nach ein paar Wochen schon die Geräusche nicht mehr mit. Nur wenn Besucher da sind und entsetzt merken, dass sie mitten im Satz das Gespräch unterbrechen müssen, bis der Güterzug vorbei ist, wird man sich des Lärms bewusst. Oder wenn das Fenster gekippt ist und man fensieht.


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Was war hier neu?  Der Zug fuhr durch, und zwar mit höherer Geschwindigkeit als bisher üblich. Und das Zischen, das dabei entsteht, kommt nicht von den Rädern, von Stoßkanten der Schienen, nicht von quietschenden Bremsen und nicht von den schleifenden Geräuschen, die beim Spurwechseln wegen des fehlenden Differentials entstehen. Gegen diese Lärmquellen hat die Bahn tatsächlich einiges getan, in den letzten Jahren. Hierzu gibt es ein spezielles Bahnlärmsanierungskonzept. Eine Zeitlang war es sehr laut, nämlich nach der Wende, in den neunzigern Jahren, alsdie schlecht verarbeiteten Wagons  aus der Ex-DDR durchfuhren. Aber da mussten wir durch und neuere Züge sind merklich leiser. 


Nein, das messerscharfe, kaum auszuhaltende Geräusch kommt allein von der Geschwindigkeit - etwas, was mir bis dahin nicht bewusst war. Auch fehlt die übliche Vorwarnung - da der Zug so schnell da ist und plötzlich hinter anderen Hindernissen (Gebäude etc) hervorkommt.


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Warum ist das neu? Weil es von jeher üblich war, dass durchfahrende Züge, auch wenn sie nicht anhalten müssen, ihre Geschwindigkeit stark reduzieren. Ein Anwohner im  Dechbettener Villenviertel "Auf der Platte" erklärte mir das vor Jahren, als wir über die fantastische Aussicht über die Stadt und die Ruhe der Lage sprachen: Man höre die Züge von "unten" immer dann, wenn ein Zug Verspätung hat, und er deshalb über der Richtgeschwindigkeit durchfahre.


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Die Bahn bestreitete mir gegenüber später, dass es eine Richtgeschwindigkeit gebe - vielleicht war diese Richtgeschwindigkeit also nur eine freiwillige Selbstbeschränkung?


Nachdem sich das Phänomen wiederholte, merkten die Anwohner, dass das kein Einzelfall war. Und Ende 2009 kam dann die erschreckende Zeitungsmeldung: die Bahn überlege, Güterzüge schneller durch die Ortschaften fahren zu lassen. Man habe die Erfahrung gemacht, dass dies möglich und vorteilhaft sei. Um Gottes willen! Hat denn denen keiner gesagt, was das für eine Auswirkung auf den Lärm hat? Davon war nämlich nicht die Rede, in dem Artikel. Und wahrscheinlich haben sich die Entscheidungsträger nie neben eine Bahnstrecke gestellt und sich das angehört.


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Glücklicherweise hat es sich nicht so entwickelt, wie angekündigt, jedenfalls nicht in Regensburg. Ich hatte den Eindruck, dass in 2010 die Güterzüge wieder alle auf die "normale" alte Durchfahrgeschwindigkeit umgestiegen sind - ob zufällig oder aufgrund von Weisungen, kann ich nicht sagen. Auch die Personenzüge fahren nicht alle mit überhöhter Geschwindigkeit, aber immer noch genügend viele.


Man kann die Unterschiede messen, sie sind keine Einbildung. Schließlich fahren nach wie vor Dutzende von Zügen mit normaler Geschwindigkeit durch. Ich habe mir ein Gerät gekauft und vom Balkon aus gemessen - das sind 50 m Entfernung zu den Schienen. Normale Personenzüge machen 68 bis 75 dB, Güterzüge 72 bis 79 dB. Die schnell durchfahrenden Züge verursachen aber fast immer 84 dB, egal, ob Güterzug oder Personenzug. 10 dB mehr, das ist praktisch eine Verdoppelung des Lärms.


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Ich wohne seit dreißig Jahren an der Bahn und habe mich nie beschwert. Gut, wir hoffen natürlich alle, dass im Wege der allgemeinen Entwicklung auch im bereich Schiene etwas gegen Lärm gemacht wird, und viele beklagten, dass stattdessen der Lärmpegel zunimmt. Aber im großen und ganzen sind wir abgehärtet. Aber das Zischen eines schnell durchfahrenden Zuges, das ist ein Geräusch, das man nicht ausblenden kann, an das man sich gewöhnen könnte. Es ist einfach schmerzhaft. Ich möchte nicht wissen, wie es denjenigen Anwohnern geht, die drüben im Süden bei der Landshuter Unterführung ihre Terasse gleich neben der Bahn haben, oder die vielen Kleingartenbesitzer im Osten und Westen, oder die Passanten, die sich im Bahnhof bewegen. Wahrscheinlich passiert erst etwas, wenn einer in den Zug läuft und durch die Luft geschleudert wird. Denn das ist eine zusätzliche Gefahrenquelle von schnell durchfahrenden Zügen.


Ich hatte der Bahn geschrieben und höflich darauf hingewiesen. Als Antwort kam ein Textbausteinbrief und die frohe Kunde, dass ja bald eine Lärmschutzwand gebaut werde. Ich hakte nach und wies darauf hin, dass es mir speziell um diesen "Geschwindigkeitslärm" gehe, und dass man mit einer einfachen Weisung, die früheren Geschwindigkeiten zu benutzen, das Problem bis dahin vermeiden könne. Aber das war zwecklos. Vorschriften gäbe es nicht, und ich müsse es schon dem Betreiber überlassen, wie er die Durchfahrtgeschwindigkeit kalkuliert. Dabei klang die Andeutung durch, ein Abbremsen und Beschleunigen sei energiefressend. Pfui, Junge, pfui! Böser Umweltschädling!


Mittlerweile weiß ich, dass sich mehr Regensburger vom Bahnlärm belästigt fühlen, auch Rangierlärm oder durchlaufende Motoren bei wartenden Loks. Auch weiß ich, dass es bundesweit Beschwerden und Klagen über die Schienenlärmentwicklung gibt, wie die zahlreichen Portale zeige (z.B. .Bundesvereinigung gegen Schienenlärm).  Über das spezielle Problem der dezibel-Explosion im Falle schnellerer Durchfahrgeschwindigkeiten habe ich allerdings noch nichts gelesen. Auch z.B. in diesem auf "schienenlaerm.de" gefundenen Gutachten über Geschwindigkeit und Lärmreduzierung (PDF-Datei) nicht . Dieses Problem ist offenbar Neuland.


Ansonsten ist der Thema Schienenlärm stets aktuell. Hier ein paar Links:



 


Zum Vergleich: die historische Walhalla-Bockerlbahn ist zwar nur mit 20 kmh gefahren, hat aber anderen Lärm produziert. Von wegen gute alte Zeiten.


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Foto: Walhalla-Bockerl-Denkmal, Stadtamhof (2011)


 


Der Beitrag wird fortgesetzt !