Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 28. Juni 2015

Die Mähr vom Portal zu Sankt Jakob.







Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 111-113.

558. Die Mähr vom Portal zu Sankt Jakob.

Das Kloster zu Sankt Jakob
Ist ein uralter Bau,
Doch dran wie alt die Pforte
Gar Niemand wußt' genau.

Ein Sagenbuch urältest
Von einer Mähre raunt,
Die gleich nach Römertagen
Verblüffet ward bestaunt.

Aus Wälschland nach Regina
Siedelt ein Meißler um,
Getaufet, doch zwiespaltig
Ob Heid- und Christenthum.

Und der ein Werk, ein steinern,
Vom Geist gequält begann,
Der Zwiespalt seiner Seele
Sich spiegelte daran.

Sich zwei Gesellen meld'ten
Bei ihm zu gleicher Zeit,
Der Eine kam von Osten
Aus Norden kam der Zweit'.

Der Eine, blond und lieblich,
War im Gewerk ein Talk,
Der Ander' schwarz und düster
Gewandt, doch sehr ein Schalk.

Und lang mit ihrem Meister
Des Steinwerks pflegen sie,
Das, wie wir's da bestaunen
Gar sonderbar gedieh.

Aus Heiligen und Fratzen,
Aus Mensch- und Thiergestalt
Ein seltsamlich Gemische
Uebt's neckende Gewalt.

Der Blonde schuf am Tage
In Einfalt manig Bild,
Dieweil in den Tafernen
Der Schwarze zechte wild.

Mittnächtlich kam der Schwarze
Erbosten Eifers voll,
Und meißelte dazwischen
Grimassen grell und toll.

Und stets sich mühte wieder
Der Meister lobesam,
Daß zwischen Höll und Himmel
In's Werke Eintracht kam.

So ging es manche Jahre
Bis ward in blut'ger Nacht
Das Römervolk der Veste
Verjagt und umgebracht.

Während des Völkerkampfes
Ein Zweiter sich begab,
Auch in des Steinmetz Hütte,
Die ward des Meisters Grab.

Die Lehrling stritten wüthig,
Zerstörend ihr Gewerk,
Was, scheltend abzuwehren,
Nicht reicht des Meisters Stärk.

Sie schleudern nach den Köpfen
Werkstücke als Geschoß,
Dem Meister, der dazwischen,
Wird Steinigung zum Loos.

Die Hütt' mit Brand verlodernd
Einstürzt, ein Kohlenhauf,
Ein Lehrling fährt zur Tiefe,
Ein Lehrling himmelauf.
[112]
Sechshundert Jahre rollen
Grau'nhaft die Zeitenbahn,
Da kommt vom Land der Scoten
Ein Mönch, heißt Marian.

Für sich und seine Flüchtling,
Er baut ein Klösterlein,
Grundgrabend, siehe, findet
Bildtrümmer aus Gestein.

Als weiser Mann begreift er,
Durch einen Traum belehrt,
Erfreut der reichen Bilder
Symbolisch tiefen Werth.

Baumeisterlich er stellet
Die Säul'n und Bögen auf,
Verwendet d'rein die Bilder
Als Stützen und als Knauf.

Die Pfort' in das Gemäuer
Mit reicher Gliederung
Eintieft er, überwölbet
Von vieler Bogen Schwung.

Links d'ran und rechts dreigadig
Die Flügel breitet er,
Tiefst unten drin einfeldert
Die Fratzen voll Gezerr.

Der Einfalt Bilderspiele
Er säulenreihig fügt
In's mittlere Gestöcke,
Und d'rob die Bogen wiegt.

Das Werk des Meißelmeisters
Als seiner Schöpfung Kern,
Läßt prangen er zu oberst,
Die Zwölfe mit dem Herrn.

So stellt die Bilderfügung
Dazu des Meisters Ruhm,
Ob Welt und Höllen streiten
Im Sieg das Christenthum.

Des Meißlers Geist gebannet
Ist an sein Werk gewest,
Durch seines Werks Verständniß
Der Meister ward erlöst.
Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 111-113.