Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 4. April 2021

Ein Brunnen mit Wein und Goldmünzen ins Volk - Krönungsfeierlichkeiten im alten Regensburg

Detail aus: "Krönungsfeierlichkeiten Ferdinand IV 1653 in Regensburg": der Kampf um den fließenden Wein am Weinbrunnen


Na, das nenne ich doch mal eine Feier: ein Brunnen wird errichtet, wo Rotwein und Weißwein fließt, ein Ochse wird gebraten, der kostenlos verteilt wird, und jemand reitet durch die Menge und wirft Gold- und Silbermünzen unter die Leute.

So etwa lief das ab, wenn früher ein Kaiser oder König gekrönt wurde. Was oft auch in Regensburg geschah, so zum Beispiel 1653 bei der Krönung von Ferdinand IV.

Das kann man schön sehen in einem Flugblatt aus dem Jahre 1653, von mir vor kurzem entdeckt auf bavarikon.de. Es zeigt die Krönungsfeierlichkeiten von Ferdinand im Jahre 1653 in Regensburg, und ist beim ersten Hinsehen erst mal unscheinbar.


Unscheinbar, aber im Detail höchst interessant: das zoombare Digitalisat 
Krönungsfeierlichkeiten Ferdinand IV. 1653 in Regensburg



Das Historische Museum Regensburg hat es in jüngerer Zeit digitalisiert und bei der Plattform "bavarikon.de" eingestellt. Ich hatte mir vor ein paar Wochen eine Notiz in meinem Ordner "Neuzugänge in bavarikon" gemacht.

Diese Notizen wollte ich noch abarbeiten, und ich dachte anfangs, das Bild sei schnell archiviert. Die Fundstelle in bavarikon heraussuchen, Screenshots vom Bild und von Details erstellen und in "Regensburg-historisch" hochladen, dann ist das erledigt. Meinte ich.

Aber bei so einigen Details blieb ich hängen - was ist das für ein Brunnen, wo sich Leute raufen? Was für eine Kirche ist mit Thumbkirche gemeint? Und so weiter.

Beim googeln stieß ich dann auf eine Wikipedia-Seite, auf der ganz ausführlich die Rituale für eine Krönung von Kaisern oder Königen im römisch-deutschen Reich erklärt wird.

Und dazu gehört eben unter anderem solche Dinge wie Ochsenbraten, Weinbrunnen, Geld in die Menge werfen. Die Feierlichkeit in Regensburg war also ein Brauch und nicht eine individuell choreografierte Aktion. Das alles war auch für mich neu, und so wurde aus dem "Schnell-mal-Archivieren" eine Stunde Beschäftigung mit geschichtlichen Bräuchen.

Ich will den Ablauf der Ferdinand-Krönung anhand des Flugblatts erklären.

Es wird in bavarikon betitelt mit "Martin Zimmermann - Krönungsfeierlichkeiten Ferdinand IV. 1653 in Regensburg". Das Flugblatt (ca 42 x 32 cm) enthält mehrere interessante Teilbilder, darunter einen Text und eine Legende für die Teilansichten (A bis K). 

Legende


Zuerst die eigentliche Krönung, in einer Kirche. In diesem Fall war es die "Thumbkirchen" - als die Domkirche, unser Dom. Hätte ich doch mal gleich aufs Bild gesehen, statt erst fünf Minuten lang nach dem Begriff zu googeln. 

Teilbild A zeigt die Domkirche von außen (oder, wie es in der Legende heißt: "A: Ist die Thumbkirchen / darinn die Crönung fürgangen")



Teilbild B zeigt die eigentliche Krönung im Dom:



Anschließend erteilte der König auf eigene Wahl und auf Vorschlag der Kurfürsten adligen Personen den Ritterschlag. Das scheint Teilbild C zu zeigen. (Wie ihre Mayestät der Römische König 16 Herrn zu Ritter geschlagen)


Schließlich gab es einen Umzug zum Rathaus, also zum heutigen "Alten Rathaus" (Teilbild D). Welchen Ort das Teilbild D zeigt, habe ich noch nicht herausgefunden. Könnte das im Bischofshof sein?



Ausschnitt: der König beim Umzug. Der faule Socken lässt sich tragen.


Im Rathausgebäude soll es zum Krönungs-Mahl kommen. Zur Vorbereitung wurde üblicherweise ein Ochse gebraten. Gemäß Wikipedia holt ein Kurfürst zu Pferde ein Stück des Ochsens und überreicht es dem König in einer silbernen Schüssel. Der Ochse wird dann für die Allgemeinheit freigegeben. 

So lief es auch bei Ferdinand IV. ab, und Jahre zuvor, bei der Krönung Ferdinand III. im Jahre 1636, ebenfalls. Es gab also einen Ochsenbraten, wie Teilbild E zeigt. Angeblich wurde der Ochse mit Teilen von Schwein, Reh, Hirsch und Fisch gefüllt. Der gespickte Ochse musste eine Woche lang am Spieß gedreht werden, bis er gar war.

Teilbild E : "Wie der Ochs gebratet und Ihren Mayestät ein Stück davon zur Tafel getragen worden"

Dann bringt der Mundschenk dem König einen silbernen Becher mit Wein. Ursprünglich vom Tisch, später von einem Brunnen, heißt es in wikiepdia. Teilbild G zeigt, dass Ferdinand einen solchen Brunnen errichten ließ, wo Rotwein und Weißwein floss.


Teilbild G: der Weinbrunnen
"Wie ein springender Brunnen /darauß roth und weisser Wein geflossen / auffgerichtet und preyß gegeben wird"

Wo in unsere Fall wohl der Brunnen war? Wahrscheinlich am Rathausplatz. Denn es gibt ein Bild aus 1636 über einen solchen Brunnen anlässlich der Krönung von Ferdinand dem Dritten (also dem Vorgänger), und dazu war zu lesen, dass der Brunnen am Rathaus stand.

Jedenfalls: auch der Wein wurde der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt (er wurde "preis gegeben")

Bei dem Sturm auf Wein und Ochse gab es bei solchen Zeremonien oft soviel Tumult, dass nicht nur viel Wein verschüttet wurde, sondern es Verletzte und zum Teil Tote gab.  Darüber wurde öfter berichtet. Auch Goethe war bei einer solchen Krönungsfeierlichkeit und erzählte davon in seiner Autobiografie "Dichtung und Wahrheit" (I 5). 

Das Teilbild F aus unserem Flugblatt deutet ebenfalls ein Gerangel um den Wein an. Ein anderer Stich aus 1612 von einem unbekannten Autor zeigt einen Streit um den Ochsen bei einer solchen Feierlichkeit:

Ausschnitt aus "Kampf um den Ochsen", Kupferstich 1612
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kampf_um_Ochsen_und_Ochsenk%C3%BCche.jpg

Inzwischen ist ein Marschall, im unserem Beispiel der Erz-Reichsmarschall Graff von Pappenheim , zu einem vorbereiten Heuhaufen geritten und hat dort mit einem Behälter Hafer für die königlichen Pferde geschöpft. So Wikipedia. Auch hier scheint es ähnlich gewesen zu sein, wobei die Handlung vielleicht nur symbolisch stattfand, der Hafer also nicht wirklich zu den Pferden gebracht wurde. Ich bin kein Historiker, ich orientiere mich aber an der Inschrift der Legende: 

F = "Wie Herr Graff von Pappenheim ErbReichsmarschall in den Haber reuttet / ein silbern Maß voll einmisset / und wider mit ehrerbietung ausgeschüttet / so preyß gemacht worden" . 

Preyß heißt offenbar so viel wie "preis" im Sinne von "preis geben". Das zeigte sich bereits an einer anderen Stelle im Text. Also nehme ich an, dass der Hafer den Bürgern zur Verfügung gestellt wurde. Das Ganze war nur noch ein symbolisches Ritual.

Teilbild F: der Hafer

Das Teilbild G mit dem Ochsen hatte ich schon oben erklärt. 

Teilbild H zeigt nun ein anderes Ritual: ein Schatzmeister warf von seinem Pferd "zwei Beutel mit silbernen und goldenen Münzen"  unter das anwesende Volk, schreibt Wikipedia. Wobei man sich dort offenbar an einem konkreten Beispiel orientiert.

Ob es in Regensburg auch zwei Beutel waren, weiß ich nicht. Aber es gab wohl diese Münzverteilung, und die Arbeit haben diesmal zwei Reiter gemacht - getrennt nach goldenen Münzen (Gulden) und silbernen Münzen. Die Legende schreibt nämlich "Wie Churpfalz als ReichsSchatzmeister guldene / und dero Hoffmeister silberne Münzen auswerfen"

Teilbild H: Wie Churpfalz als ReichsSchatzmeister guldene / und dero Hoffmeister silberne Münzen auswerfen

Welche Münzen das sind, wird im übernächsten Teilbild K gezeigt: "Abbildung der ausgeworfenen gulden und silbernen Münzen"

Teilbild K

Inzwischen gibt es im Rathaus die "königliche und churfürstliche Mahlzeit", wie Teilbild I (I wie Ida) zeigt.


Am nächsten Tag, Donnerstag dem 19., hat es dann der spanische Botschafter nochmal krachen lassen und die Kurfürsten zum Bankett geladen. Das gehörte natürlich nicht mehr zum üblichen Ritual, sondern war eben so an diesem Ereignis 1653 in Regensburg.

Jedenfalls hat der spanische Botschafter ebenfalls Geld im Volk verteilen lassen und auch von Mittags bis abends einen Brunnen mit Wein laufen lassen. 

Am Abend spendierte er noch ein Feuerwerk.

Pottschaffter = Botschafter, Panquet bedeutet wohl Bankett


So, liebe Leser, wenn ihr das nächste Mal zum König ernannt werdet: nehmt Euch ein Beispiel und bestellt beim Caterer keine gewöhnliche Wurstplatte! Und sorgt für Security, wegen des Ochsens.

Das Bild auf bavarikon.de:

Martin Zimmermann - Krönungsfeierlichkeiten Ferdinand IV. 1653 in Regensburg