Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Was bedeutet Kreativwirtschaft?


Was bedeutet Kreativwirtschaft?
von P. Burkes, Okt 2015
Die 11 (bzw. 12) Zweige der KuK, Grafik aus der Seite der Bundesregierung


Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist Teil der Volkswirtschaft und wurde ca 2009 von den staatlichen Stellen entdeckt.

Gemeint sind letztlich folgende Branchen:
I. Kulturwirtschaft
  1. Musikwirtschaft
  2. Buchmarkt
  3. Kunstmarkt
  4. Filmwirtschaft
  5. Rundfunkwirtschaft
  6. Darstellende Künste
  7. Architekturmarkt
  8. Designwirtschaft
  9. Pressemarkt
II. Kreativbranchen
  1. Werbemarkt
  2. Software/Spiele-Industrie
  3. Sonstige


Die Wirtschaftsministerkonferenz  definierte erstmals 2009 den Begriff. In  der Praxis wird er meist abgekürzt mit (nur) "Kreativwirtschaft".

Offizielle Definition von Kultur- und Kreativwirtschaft (abgekürzt KuK):


„Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden diejenigen Kultur- und Kreativunternehmen erfasst, welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen. Der verbindende Kern jeder kultur- und kreativwirtschaftlichen Aktivität ist der schöpferische Akt von künstlerischen, literarischen, kulturellen, musischen, architektonischen oder kreativen Inhalten, Werken, Produkten, Produktionen oder Dienstleistungen. Alle schöpferischen Akte, gleichgültig ob als analoges Unikat, Liveaufführung oder serielle bzw. digitale Produktion oder Dienstleistung vorliegend, zählen dazu. Die schöpferischen Akte können im umfassenden Sinne urheberrechtlich (Patent-, Urheber-, Marken-, und Designerrechte) geschützt sein.“
Seither werden diese Bereiche in Bund und Ländern gefördert. Dazu wurden folgende Portale eingerichtet:

Bund:

Land am Beispiel Bayern: 
Diese Kreativbranchen werden folgerichtig auch auf Städte-Ebene gefördert. So ging Wolbergs 2014 mit diesem Thema in den Wahlkampf, während die CSU der Ansicht war, die Kreativwirtschaft werde überschätzt
Andere Städte haben schon früher damit angefangen und ihre leidigen Erfahrungen damit gemacht.

Zum nicht nummerierten Zweig der "Sonstigen":
Da es sich bei der Kultur- und Kreativwirtschaft um einen Wirtschaftsbereich handelt, der einer vergleichsweise hohen Dynamik unterliegt, wurde mit der Festlegung auf die Teilmärkte gleichzeitig eine prinzipielle Offenheit bzw. Möglichkeit zur Veränderung und Erweiterung formuliert. Der Leitfaden schlägt dementsprechend eine Gruppe „Sonstige“ vor, in die neue oder für Einzelstudien zusätzlich relevante, wirtschaftliche Aktivitäten, wie beispielsweise das Kunsthandwerk, aufgenommen werden können. (Quelle: Wikipedia)

Speziell die Regensburger Kreativen nennen hier als Beispiele

Bibliotheken und Archive, Betrieb von historischen Stätten und Gebäuden und ähnlichen Attraktionen, Botanische und zoologische Gärten sowie Naturparks, Selbst. Dolmetscher, Fotolabors, Hersteller von Münzen, Hersteller von Fantasieschmuck (aus einem _CMR-Team-Bericht vom 23.11.2014)

Ursprung

Das Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft/Creative Industries hat seinen Ursprung laut Wikipedia in in Großbritannien. Die Labour Regierung propagierte im Wahlkampf 1997 die Kulturwirtschaft/Creative Industries als Zukunftsbranchen der britischen Wirtschaft und Beschäftigung. Infolge entwickelte man 1998 in Großbritannien entsprechende Förderkonzepte. Restliches Europa und Amerika schlossen sich an, wenn auch unter heftigen Diskussionen über den Nutzen.

Die mittlerweile eingerichteten Portale von Bund und Ländern zeigen aber, dass entgegen Wikipedia nicht mehr ernsthaft über den Nutzen der Einteilung diskutiert wird

Die Beschäftigung des Staats mit dem Thema hat viel mit Internet und den Urheberrechtsproblemen in der Musikindustrie zu tun, sowie mit Software-Piraterie. Denn das hemmt nicht nur die Verlage, sondern auch die Kreativen selbst.

So heißt es zur Geschichte der KuK weiter in Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturwirtschaft)

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in Deutschland seit einigen Jahren ein wichtiges Betätigungsfeld der Wirtschaftspolitik von Bund, Ländern und zahlreichen Kommunen ebenso wie der Europäischen Union. Auch internationale Organisationen wie die The United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) haben sich mit dem Phänomen des weltweiten Strukturwandels durch das Internet befasst, der diese Branchen wesentlich beeinflusst.

Auf Bundesebene beschäftigte sich 2005 die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland erstmals mit dem Thema.
 
Im Mai 2007 fand im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine europäische Konferenz zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa statt, die vom Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft und der Friedrich-Naumann-Stiftung veranstaltet wurde.[5] 
Zugleich startete 2007 das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und der Beauftragten für Kultur und Medien die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft.[6] Im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft führte man beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zur Durchsetzung der Urheberrechte einen Wirtschaftsdialog ein, gründete weitere Unter-Initiativen, wie die Initiative Musik gGmbH als Fördereinrichtung der Bundesregierung für die Musikwirtschaft in Deutschland und sorgte für die Internationale Vernetzung zur Unterstützung der Potentiale der deutschen Musikindustrie im Ausland. Es geht im Wesentlichen um die Umsatzeinbrüche der Tonträgerindustrie durch Internet-Piraterie. Generell geht es in allen Branchen vorrangig um Urheberrechtsverletzungen im Internet.

Österreich legte im Februar 2004 mit Hilfe von Fördermitteln der Europäischen Union eine umfangreiche Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien vor. In Deutschland beauftragte von Anfang an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausschließlich das Büro für Kulturwirtschaftsforschung in Köln, die aktuellen wirtschaftlichen Eckdaten zur Kultur- und Kreativwirtschaft zu aktualisieren, zu bewerten und auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes zu berechnen.

Dieses Büro bestimmt seither was eingegrenzt und ausgegrenzt wird, klassifiziert und beurteilt, und verbreitet einheitliche Zahlen und Meinungen.

Das Büro für Kulturwirtschaftsforschung betreute  ab 1999 mehrere Kulturwirtschaftsberichte:

1998–2013 für Nordrhein-Westfalen,
2001 Sachsen-Anhalt,
2003 Hessen,
2004 Schleswig-Holstein,
2005 Berlin,
2009 Thüringen.
Diese Berichte unterlagen stets demselben Modell.

Ab 2013 diskutierte man das Problem, dass die statistischen Auswertungen zweifelhaft sind und stark variieren, wenn man z.B. andere Definitionen und Abgrenzungen benutzt. Berlin z.B. hatte 2013 erstmals eine andere Institution mit  der Studie beauftragt (hierzu ausführlich: Wikipedia a.a.O.).

Diese Probleme zu korrigieren war im Jahr 2014 die Aufgabe der neuen Ministerin für Kultur- und Medien (siehe Einzelheiten in Wikipedia)


Insgesamt geben jedoch alle Berichte über Kulturwirtschaft einen nützlichen ersten Überblick über die Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft, auch wenn man über Details der statistischen Auswertungen streiten kann.

Streit um die Klassifizierung

Die Kulturverantwortlichen befürchten angeblich, dass die zeitlich zurückliegenden und zumeist unvollständigen Statistiken durch eine Flut von Informationsschriften eine zu große Bedeutung erhalten (siehe Initiative der Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung auf kultur-kreativ-wirtschaft.de) 

Schon jetzt werden die Berichte mehr als Gutachten angesehen, die letztlich dazu führen, einen "Mindeststandard von Kultur" einzuführen, anstatt die Kultur zu erweitern und zu fördern.

Dafür spreche in Deutschland der stufenweise Rückzug von Bund, Land und Stadt aus den Subventionen und stattdessen Einführung von Förderungen, heißt es im Wikipedia-Artikel.

International haben  viele Kritiker große Bedenken, dass die Eingrenzung des Begriffs Kultur- und Kreativwirtschaft/Cultural industries letztendlich zu einer  

Kommerzialisierung von Kunst und Kultur 

führt. Und zu einer "Globalisierung" von Kultur, damit ist ist eine totalisierende Vereinheitlichung gemeint.

Das Thema hatten bereits Theodor Adorno und Max Horkheimer 1947 und 1969 in einer in Soziologenkreisen berühmten Schrift kritisiert, in Ausführungen, die bis heute wissenschaftlich zitiert und diskutiert werden.
Für Interessierte: Die Fundstellen-Verweise in Wikipedia zu Adorno/Horkheimer sind veraltet. Man findet aber den Aufsatz der beiden, und zwar in der Fassung der Zweitauflage 1969, hier:http://ps.vetomat.net/wp-uploads/2012/09/dialektik_aufklaerung.pdf
Es gibt auch einen Wikipedia-Artikel zu dieser berühmten volkswirtschaftlich-philosophischen Schrift, sowie einen eigenen Wikipedia-Artikel zu dem Kapitel über die Kulturwirtschaft, die den Titel trägt Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug
Was Letzteres betrifft: Besser lesbar  ist hier der erklärende Aufsatz von Gerd Raunig aus dem Jahre  2007: Kreativindustrie als Massenbetrug übersetzt von Jens Kastner, auf der Webseite von eipcp = europäisches Institut für progressive Kulturpolitik;  http://eipcp.net/transversal/0207/raunig/de

Übrigens: Adorno war ein deutscher Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist. Horkheimer war ein deutscher Sozialphilosoph


Das Studium der Kulturwirtschaft

Kulturwirtschaft gibt es längst auch als Studiengang. Folgende Hochschulen bieten in Deutschland den Studiengang Kulturwirtschaft mit B.A./M.A.-Abschluss an:

International:
Copenhagen Business School
King’s College London



Kreativwirtschaft - im Interesse der Kreativen oder der Städte?

Dass man die Kategorisierung und Vermarktung der Kreativbranchen skeptisch sieht, ändert natürlich nichts daran, dass es diesen Kreativ-Bereich gibt, egal wie man kategorisiert. Es schadet nicht, diesen Bereich zu durchleuchten.

Denn die Kritik ändert  nichts daran,  dass es typische Probleme in diesen Branchen gibt. Zum Beispiel die Überforderung bei urheberrechtlichen, steuerlichen und bürokratischen Vorschriften. Zum Beispiel bei der Suche nach günstigen Räumen in Großstädten. Zum Beispiel bei der regionalen Vernetzung.

Auch ich habe diese Probleme die letzten Jahre in Regensburg intensiv mit verfolgt,

  • als  in Regensburg (ab 2007) auftretender Künstler, der Ausstellungsräume suchte;

  • als Unterstützer vieler anderer Künstler, Musiker und Theatermacher; 

  • als kulturueller Beobachter im Laufe meiner journalistischen Tätigkeit für das Regensburger Tagebuch;

  • als anwaltlicher Berater in meiner aktiven Anwaltszeit;

  • als Mitglied des Existenzgründervereins Alt hilft Jung Bayern e.V.; 
  • als Dozent bei sonstigen Existenzgründerveranstaltungen,;

  • als Mitbetreiber einer Galerie in der Altstadt im Jahre 2012, der spätestens hier die existenziellen Probleme hautnah selbst erlebte (Raumsuche, Bürokratie, GEMA, Steuerverfahren, Parkplatzprobleme für uns und für die Kunden, Marketing und mehr)

Darum ist es richtig, wenn Portale oder Verbände Hilfe und Beratung bieten. Oder wenn eine Stadtverwaltung die interne Vernetzung anregt. Oder wenn Städte günstige Räume zur Verfügung stellt, für workshops, Veranstaltungen, Ideenfindungen und mehr.

Dass dabei die Stadtverwaltungen möglicherweise Profit daraus schlagen wollen, z.B. über Publicity oder über Steuern, ist klar und muss kritisch im Auge behalten werden. Aber letztlich kann es dahin gestellt bleiben, solange dieKreativen selbst etwas davon haben.

Im übrigen, was Steuern betrifft: nur die GewSt fließt direkt in die Gemeinde/Stadtkasse. Aber nur ein Teil der Kreativen zahlt Gewerbesteuer an die Gemeinden, ein großer Teil  nicht, da sie unter den Begriff der so genannten Freiberufler  fallen, § 18 EStG, und damit nicht gewerbesteuerpflichtig sind, § 2 GewstG  e contrario). Und da die Gewerbesteuerkasse in Regensburg sowieso gut gefüllt ist, dürfte speziell hier mehr ein Publicity-Interesse dahinter stecken. Das wiederum dürfte vermischt sein mit echtem Interesse, denn wer die Vorgeschichte des OB kennt und seine einzelnen Auftritte und Reden bei sozialen und kulturellen Anlässen, muss davon ausgehen, dass das Engagement durchaus ernstgemeint ist, wenn auch wohl nie frei von anderen Interessen.
Aber neben dem OB und anderen Politikern gibt es auch eine "Stadt" selbst, die sich profilieren will, wenn man davon ausgeht, dass auch eine Stadt so etwas wie ein Ich-Bewusstsein hat.

So hieß es im Jahre 2014 in einer Pressemitteilung der Stadt Regensburg, dass

 „der Standort Regensburg für Unternehmen und Selbständige der Kultur- und Kreativwirtschaft zum Magnet werden“ solle. Überregional solle auf „Potenzial und Qualitäten aufmerksam gemacht werden, um Regensburg nachhaltig als Kreativstandort zu positionieren.“

Ähnliches gibt und gab es natürlich auch in anderen Städten

Gegenbewegungen

Dass sich andererseits Kreative von solchen Gemeinde-Aktivitäten angewidert abwenden, ist auch verständlich.

So startete Hamburg vor vielen Jahren ähnliche Aktivitäten zur "Vermarktung" der Kreativwirtschaft. Und vor sechs Jahren aber veröffentlichten einige frustrierte Kreative ein Manifest, das so genannte "Hamburger Manifest", das man hier nachlesen kann:

Hamburger Manifest

Der Tenor spiegelt sich in folgenden Auszügen wider: 
 Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als „bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil“ zu „positionieren“, noch denken wir bei Hamburg an „Wasser, Weltoffenheit, Internationalität“ oder was euch sonst noch an „Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg“ einfällt....

Eine Stadt ist keine Marke, kein Unternehmen ...

Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die „Marke Hamburg“...


Originalwortlaut
Manifest

NOT IN OUR NAME, MARKE HAMBURG!
 Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die „kreative Klasse“ wohlfühlt. „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race“, schreibt Florida. Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet für diese „kreative Klasse“ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer „Image City“ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der „pulsierenden Metropole“, die „ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur“ bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als „Marke Hamburg“ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das „markenstärkende Funktion“ übernehmen soll.
Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als „bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil“ zu „positionieren“, noch denken wir bei Hamburg an „Wasser, Weltoffenheit, Internationalität“ oder was euch sonst noch an „Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg“ einfällt.

Wir denken an andere Sachen. An über eine Million leerstehender Büroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt, kaum mehr Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird. Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür sorgen. Wir glauben: Eure „Wachsende Stadt“ ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb.
Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die „Marke Hamburg“. Nicht, dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im Gegenteil: Uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große Bergstraße, siehe Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs- Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen „bewusst für die Stadtentwicklung“ und „für das Stadt-Image“ einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil ihr die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse gar nicht mehr abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll, kann man in St. Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen Arbeiterstadtteilen, dann „Szenevierteln“, werden binnen kürzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping-Kiez, auf dem Franchising- Gastronomie und Ketten wie H&M die Amüsierhorde abmelken.
Die Hamburger Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer Eventisierungs-Strategie. Dreißig Millionen Euro gingen an das Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten. Über vierzig Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die Elbphilharmonie. Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500-Millionen-Euro-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt: Da lässt die Stadt ein „Leuchtturmprojekt“ bauen, das dem Geldadel ein Fünf-Sterne-Hotel sowie 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat und dem gemeinen Volk nur eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was für ein Wahrzeichen!
Uns macht es die „Wachsende Stadt“ indessen zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den „pulsierenden Szenen“ steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die „Sahnelagen“ auf den Immobilienmarkt – zum Höchstgebot und mit einem Minimum an Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose Investoren-City in Stahl und Beton.

Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die Kleinegeile-Läden-Betreiber und Ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur „Stadt der Tiefgaragen“ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker, habt ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure Lösungsvorschläge bewegen sich tragischerweise kein Jota außerhalb der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache etwa kündigt an „die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen“. Eine „Kreativagentur“ soll zukünftig u.a. „Anlaufstelle für die Vermittlung von Immobilienangeboten“ sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als „künstlerischer Nachwuchs“ einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um „temporäre Nutzung von Leerständen“ ersuchen. Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn „die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort Hamburg“ gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht klarstellen, was „Kreativität“ hier zu sein hat: Nämlich ein Profi t Center für die „Wachsende Stadt“.
Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von Quartiersentwicklern strategisch platzierten „Kreativimmobilien“ und „Kreativhöfe“. Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und in leerstehenden Kaufhäusern, unsere Ateliers lagen in aufgegebenen Verwaltungsgebäuden und wir zogen den unsanierten dem sanierten Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage „Wie wollen wir leben?“ nicht auf Stadtentwicklungs- Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik.

Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der „Wachsenden Stadt“ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek-Kanal und entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St. Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich der Stadt der Investoren entgegenstellen.
Ted Gaier, Melissa Logan, Rocko Schamoni, Peter Lohmeyer, Tino Hanekamp und Christoph Twickel  für die „Not in Our Name, Marke Hamburg“-Initiative

Quelle: https://nionhh.wordpress.com/about/
Siehe dort auch die Kommentare
Der Initiative haben sich blitzschnell tausende von Kreativen bundesweit angeschlossen.

Nun, das ist Hamburg. Man kann  es nicht automatisch auf andere Städte wie Regensburg übertragen. Aber es zeigt die Problematik. Weniger für den Endverbraucher, mehr für die Kreativen, sobald sie sich vernetzen und für die Stadt tätig werden.

Sollen die Kreativen einer Region trotzdem aktiv werden?

Dass wir Kreativen einer Region aber auf andere Weise von einer Vernetzung profitieren können,  ist einsichtig. Sie müssen nur darauf aufpassen, dass sie nicht reine Wasserträger für ein Stadtmarketing werden. Dass sie bei aller Dankbarkeit für "Kreativräume" und städtischer Unterstützung nicht aufhören, Kritik an Schwachstellen zu äußern, nicht aufhören, Vorschläge zu machen.

Aber vor allem, in dem wir weiterhin 

unabhängige Organisationen
(wie con_temporary oder KOMPLEX in Regensburg,
oder die Hamburger Keativgesellschaft in Hamburg)

bilden oder fortführen. 

Diese dürfen nicht absterben, nur weil es jetzt einen Kreativmanager bei der Stadtverwaltung gibt, der Ansprechpartner für die Kreativen sein soll. 

Denn diese Organisationen haben bisher die eigentliche Arbeit getan, und zwar uneigennützig und ehrenamtlich - wenn auch mit Unterstützung der Stadt.

Ich habe bisher sehr kritisch und aufmerksam  die Mitteilungen der Stadt Regensburg verfolgt, und kann derzeit beruhigend sagen: die Stadt scheint diese Organisationen zu unterstützen. Sie sieht keine Konkurrenz in ihnen. Die Stadt will keine zentrale Abteilung schaffen, die solche Organisationen wie con_temporary ersetzen will, sondern setzt auf solche Initiativen und will ihnen in puncto Zusammenarbeit unter die Arme greifen.

Aber auch wir Kreative müssen etwas  tun. Indem wir darüber berichten (Beispiel1, Beispiel2), indem wir die Organisationen in Anspruch nehmen (was viele nicht tun, sondern über fehlende Räume jammern), indem wir sie auf sonstige Weise unterstützen

Förderung durch Lob?

Und Unterstützung kann auch sein, indem wir das Engagement auch mal loben. Das vermissen viele Engagierte in vielen Vereinen.

Denn - verdammt noch mal - ich fand bei meinen Recherchen zu Organisationen wie con_Temporary, scants of grace, Campus Regensburg  einfach zu wenig Lob in den Medien.  Hinter con_temporary beispielsweise stehen einzelne Engagierte wie Tilo Kmieckowiak, Julia Sperber und Julia Ulrich. Julia Sperber war früher schon  ehrenamtliche Initiatorin beim Campus Regensburg e.V. , der Verein, der die herrlichen Uni-Sommerfeste organisiert. Das fand ich alles erst nach mühsamer Recherche heraus - denn engagierte Leute dieser Art machen naturgemäß keine Selbstvermarktung, sondern wollen Ideen verwirklichen. Das kann so bleiben - es ist Aufgabe Dritter, das zu würdigen.

Siehe dazu auch: