Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 18. Oktober 2015

Was ist das KreativForum Regensburg (Teil 2)

Fortsetzung von Teil 1


Derzeitige Besetzung des Kreativforums

Am 8. Dezember 2014 trafen sich über 200 Regensburgerinnen und Regensburger aus der Kultur- und Kreativwirtschaft in den Räumen der Städtischen Galerie Leerer Beutel, um für zwölf definierte Teilbranchen je eine Ansprechpartnerin/einen Ansprechpartner sowie eine Stellvertreterin/einen Stellvertreter für die Dauer von zunächst einem Jahr zu wählen.


Wahlergebnisse für das erste kreativForum Regensburg




Musikwirtschaft: Johannes Damjantschitsch, Clara Criado Hernández
Buchmarkt: Carola Kupfer, Ulrich Dombrowsky
Kunstmarkt: Falko Gaulke, Anjalie Chaubal
Filmwirtschaft: Felix Bruhns, Philipp Weber
Rundfunkwirtschaft: Petra Stikel, Detlef Kapfinger
Markt für Darstellende Künste: Clemens Rudolph, Ute Steinberger
Designwirtschaft: Thomas Triesch, Robert Hiltl
Architekturmarkt: Andreas Eckl, Stefan Ebeling
Pressemarkt: Antonia Kienberger, Nina Ilnseher
Werbemarkt: Andrea Hahn, Jörg Roscher
Software und Gamesindustrie: Waldo Sessler, Andreas Hechtbauer
Sonstiges: Robert Greis, Gabriele Thanner


 
Selbstfindungsproblem des kreativForums bzw. der Arbeitskreise

Da die Arbeitskreise gewollt für jedermann offen sind, setzen hier Probleme an:

diese Gruppengespräche finden in wechselnder Besetzung tatsächlich statt, aber es gab und gibt Diskussionen darüber, was diese Gruppen darstellen - Vereine? Abteilungen eines Vereins? GbR? Haben sie Verband-Charakter? Sind sie eigenständig, oder nur Berater der Stadt? Können sie eigene Pressemitteilungen erstellen oder müssen sie sich damit begnügen, dass die PM (nach entsprechender Prüfung) über die Pressestelle der Stadt laufen?

So sind es also bislang einfach offene Gesprächskreise mit nicht ganz klarer Rechtsnatur (zumindest aus der Sicht der Mitwirkenden) zumindest ohne feste Organisations-Struktur und ohne feste Mitglieder.

Diese fehlende Struktur führt natürlich zu Frust bei einzelnen Gesprächsmitgliedern.

Ergebnis dieser Recherche ist, dass es teilweise unnötiger Frust aus Unwissenheit über Hintergrundfakten ist, teilweise aber der Frust durch eine Systemschwäche vorprogrammiert ist.  Es tauchen nämlich Fragen auf wie:
  • Wie wird der nächste Bereichsvertreter gewählt, wenn es anscheinend/scheinbar keine feste Mitglieder gibt, und ein ausgefeiltes Ladungs- und Wahlsystem wie im Vereinsrecht (§§ 21 ff BGB für den eingetragenen Verein) fehlt.
  • Wer kommt für die Kosten einzelner Aktionen auf, wie z.B. die Herstellung der Boxen für das Deggingerhaus, die mehr Zeit und Geld kosteten, als man vermuten möchte (eine Vereinskasse gibt es nicht)
  • Warum soll ich meine karge Freizeit für die Treffen und für das Lesen der emails opfern, wenn ich möglicherweise gar keinen Einfluss auf die 'Entscheidungen "da oben" habe, ja, wenn sich das hier möglicherweise alles von selbst zerfleddert. Und vor allem - wenn ich nicht weiß, für wen ich eigentlich arbeite?
Entgegen ursprünglicher Ausführung an dieser Stelle war es nicht die Stadt, die von den  Kreativen erwartete, sie würden "irgendwie" zusammentun und formieren.Wie genau das kF entstanden ist, schildere ich im dritten Teil dieses Artikels.


Häufige Klage in diesem Zusammenhang:

wie soll das funktionieren, ein Verband bildet sich von unten und kann nicht von oben verordnet werden. Hätte es nicht gereicht, eine Abteilung bei der Stadt einzurichten, mit der wir Kreativen dann kommunizieren können (was dann wohl später auch durch den Kreativmanager teilrealisiert wurde, und eine zweite Stelle soll mittlerweile auch schon geschaffen werden). Müssen wir hier in den Gruppen rätseln, wie das weiter gehen soll? Und werden wir vielleicht nur als Zugpferd für publicity verbraten?

Die Einwände sind verständlich. Allerdings:

Es war eine spontane Idee des neu gewählten oberbürgermeisters, dass eine Vertretergruppe als Gesprächspartner gut wäre. Die Idee wurde auf einer Veranstaltung im Herbst 2014 geäußert, organisiert von der Gruppe um "Creative-Monday-Regensburg", die den OB zum Gespräch eingeladen hatte.

Diese Gruppe wiederum nahm die Idee ernst und organisierte Treffen der Kreativen, um sie zur Wahl von Interessenvertretern aufzurufen. Dass dabei das Problem auftaucht, wie sich die Interessenvertretungen selbst strukturieren sollen, was ihnen damals klar.

Die Durchführung ist schwer. Aber irgendwie muss man anfangen.


Und trotz allem hat sich doch einiges Positives entwickelt. Zum Teil bei der anhaltenden Beratung, wie das Kreativzentrum im Deggingerhaus konzipiert sein soll, zum Teil aber auch durch andere Vorschläge und Projekte.

Trotz vieler Klagen kommen trotzdem immer wieder Kreative zu den Treffen der entsprechenden Gruppen. Aber viele sind nach den ersten Gesprächen auch bald ferngeblieben. Der engagierten Leiterin der Gruppe Presse, Antonia Kienberger, ist es zu verdanken, dass hier dann tatsächlich einige ganz konkrete Projekte entwickelt und vorgeschlagen wurden (die gibt und gab es natürlich auch in anderen Arbeitskreisen!).
Und sehr fruchtbar war ein Treffen im Frühjahr, bei dem sie auch Leute aus anderen Arbeitskreisen sowie den Kreativmanager S. Knopp einlud. Der crossover-Austausch wurde von allen begrüßt.  Herr Knopp war gleichermaßen erfreut und nachdenklich darüber zu hören, wie die Basis die Situation sieht. Und die Teilnehmer anderer Gruppen ließen erkennen, dass sie hauptsächlich an Vernetzung und Kontakten interessiert sind, ein tiefsitzender Wunsch, der die Leute zu weiterem Mitwirken motiviert. Und es wurden an diesem Abend auch konkrete Projekte ausgebrütet.

Aber die Probleme aus dem "Formiert Euch" -Ansatz bleiben. Es scheint, es hätte es andere Vorgehensweisen geben können. Als Beispiel fällt Linz in Österreich ein.
Diese Stadt hat sich - aus einer hässlichen Industriestadt heraus - zu einer unglaublichen und faszinierenden Kulturmetropole entwickelt, aufgrund eines professionellen Konzepts durch die Stadtverwaltung, aber initiiert durch die Kunstszene. Die "Ars Electronica" ist da nur ein kleines Mosaiksteinchen, da gibt es noch das Brucknerhaus, die ehemalige Tabafkfabrik, das Ars-Electronca-Center, das Lentos-Museum, das absolut geniale Kulturzentrum HOF in der Altstadt, eine ehemalige Schule, und mehr.

Linz, ars-electronica-center, 2013. Fotos: P. Burkes


Das setzte aber professionelle Konzepte voraus, von der Stadt finanziert, von Beratern begleitet. Linz hatte 87 Millionen Euro investiert, um Kulturhauptsadt zu werden.  Hier hätte man nicht die Künstler, Musiker und Designer am Ort ansprechen um zu sagen: "macht was" oder "sagt doch mal, was ihr wollt". Die kleinen Kreativen bräuchten nämlich selbst Unterstützung, professionelle Beratung durch Verbände oder durch Unternehmensberater, um zu wissen, wie man die Situation verbessern kann.
Jedoch: als Linz ab 2006 anfing, auf den Status als Kulturhauptstadt hinzuarbeiten (Stichwort "Linz 09" https://de.wikipedia.org/wiki/Linz_2009_%E2%80%93_Kulturhauptstadt_Europas) wurde sie kritisiert, dass sie gerade die lokalen Künstler nicht eingebunden hätte. Es kam zu zahlreichen lokalen Initiativen als Gegenbewegung (vgl. Wikipedia, a.a.O.)
Man kann also nicht sagen - was man im ersten Moment vermuten würde - dass die Stadt Linz die örtlichen Kreativen indirekt stützte, indem sie ihnen ein Heim zimmerte, so dass sie sich entfalten können. 
ARS ELECTRONICA, 2014, LINZ. Foto: P. Burkes




Zwar hat es die Stadt geschafft, eine gigantische Kunst und Kulturstadt zu werden und zu Recht den Titel "Kulturhauptstadt" zu bekommen (das geht im genannten Wikipedia-Artikel über die Kulturhauptstadt Linz etwas unter). Allerdings förderte das Vorgehen nicht unbedingt die lokalen Künstler, jedenfalls nicht sofort und direkt.

Daher sollte man nicht voreilig fordern, dass derlei Vorgehen auf andere Städte übertragen werden soll.

Der so genannte  Regensburger Datenreport

Im übrigen hat die Stadt Regensburg durchaus von sich aus agiert und zunächst in eigene Forschung investiert: es hatte nämlich eine Studie über die Kreativwirtschaft in Regensburg in Auftrag gegeben;
Datenreport Kultur-­‐und Kreativwirtschaft Regensburg (Juni 2014)
Empirische Untersuchung zur Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Stadt Regensburg
Auftraggeber: Stadt Regensburg Referat für Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzen, Amt für Wirtschaftsförderung
Verfasser: Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsforschung, Köln
Diese äußerst aussagekräftige Untersuchung des Regensburger Zustands kann man hier abrufen:  Kreativ- und Kulturwirtschaft Anlage (1643 KB)

Darauf gab es am 8.10.2014 folgenden
Stadtratsbeschluss:


Beschlussvorlage, öffentlich
Zuständig: Amt für Wirtschaftsförderung
Drucksachennummer: VO/14/10237/85
Berichterstattung: Wirtschafts-, Wissenschafts- und Finanzreferent Daminger
Gegenstand: Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft Regensburg

Beratungsfolge

08.10.2014 Ausschuss für Wirtschaft
08.10.2014 Kulturausschuss
23.10.2014 Stadtrat der Stadt Regensburg

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat beschließt / Der Ausschuss empfiehlt:


  • Der Ausschuss nimmt den Datenreport Kultur- und Kreativwirtschaft Regensburg von Herrn
    Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsförderung Köln, zur Kenntnis.
     
  • Der Ausschuss empfiehlt dem Stadtrat die Verwaltung zu beauftragen,
    • die personalwirtschaftlichen Voraussetzungen für die baldmögliche Besetzung einer noch zu schaffenden Stelle für die Kultur- und Kreativwirtschaft vorzubereiten
    • in einem Beteiligungsprozess mit den Akteuren der Branche ein geeignetes Areal für die Unternehmen und Vereinigungen der Kultur- und Kreativwirtschaft zu identifizieren und ein Konzept für ein Kreativquartier zu entwickeln.
    • geeignete Räume für die Kultur- und Kreativwirtschaft als Übergangslösung bis zur Umsetzung des Kreativquartiers zu identifizieren und dem Stadtrat zu berichten.
Sachverhalt:

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine bedeutsame Branche in Regensburg mit 3.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und 670 Unternehmen, also mit insgesamt rund 4.100 Erwerbstätigen (Zahlen 2012). 11,1% aller Selbständigen in Regensburg sind in dieser Branche tätig. Der Jahresumsatz 2012 liegt bei 427 Mio. EUR. Umsatzstärkste Märkte sind Pressemarkt, Designwirtschaft, Software-/Games-Industrie und Werbemarkt.

Die relevanten Branchenkennzahlen liegen in Regensburg über dem bayernweiten Durchschnitt. Auch im Vergleich der bayerischen Städte hat Regensburg eine Spitzenposition.

(hier Diagramm)


Akteure in Regensburg

Die Strukturen der KuK in Regensburg sind heterogen, die Akteure wenig vernetzt, ein ge- meinsames Branchenverständnis über die 11 Teilmärkte existiert nicht. Neben den etablier- ten Organisationen wie z.B. Architekturkreis, Handwerkskammer, Kunstverein Graz etc. gibt es viele kleine Initiativen, die schon aktiv sind oder noch auf der Suche nach Räumlichkeiten. Beispielhaft können genannt werden:

  • CreativeMonday: Vernetzungstreffen der Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft, ge- planter Turnus 2 monatlich, Vernetzung der Kreativen untereinander (Schwerpunkt 2014) und mit anderen Branchen und Institutionen (ab 2015)
  • Coworking: kreative Bürogemeinschaft wird aufgebaut
  • Komplex: Kulturhaus für Regensburg wird gesucht
  • Spot e.V.: Skaterhalle wird gesucht
  • Planraum e.V.: Umsetzung kreativer, technischer Ideen (3D-Drucker, Löten, etc.)
  • Kurzfilmwoche: Räume für Filmproduktion und Filmvorführung werden gesucht
  • The prosecution: Band, die Räume angemietet und zu Proberäumen umgebaut hat für eigene Nutzung und Untervermietung
  • Schauspielschule

Aufbau eines Netzwerkes im Bereich KuK

Für den Aufbau eines Netzwerkes sollen personelle und räumliche Kapazitäten geschaffen
werden:

Kultur- und Kreativmanager
Die Belange der Akteure und Unternehmen der KuK sollen zukünftig stärker unterstützt werden.
Dazu soll die Stelle eines/r Kultur- und Kreativmanagers/in geschaffen werden, der/die
die Akteure der Branche stärker vernetzt und an der Umsetzung der im Datenreport identifizierten
Handlungsfelder arbeitet.

Kreativquartier
Unternehmen der KuK stehen in Regensburg vor der Herausforderung, sichtbarer zu werden,
also öffentlich noch stärker wahrgenommen zu werden und dafür geeignete Räumlichkeiten
zu finden. Ein gemeinsam genutztes Kreativquartier würde der Raumnot Abhilfe
schaffen und die stärkere Vernetzung fördern. Eine örtliche Bündelung der Akteure würde
weit über Regensburg hinaus Strahlkraft entwickeln. Diese Räume müssen aufgrund der
Heterogenität der Branche vielfältig nutzbar sein,

1. für die Tätigkeitsfelder der Unternehmen der KuK als Gründerzentrum, Schule, Atelier,
Werkstatt, Proberaum, Film-, Foto-, Tonstudio, Veranstaltungsraum, Ausstellungsraum,
Coworking-Space, offene Werkstätten, zentraler Begegnungsort/Cafeteria, und

2. als Verortung für ein übergeordnetes Angebot für diese Branche für Beratungen, Gründungsförderung, Weiterbildungsmaßnahmen, öffentliche Veranstaltungen, Kooperationsprojekte,
Kinder- und Jugendwerkstatt, junge Kunst.

Bei der Identifikation möglicher Standorte für das Kreativquartier sollte ein ganzheitlicher
inklusorischer Ansatz der Quartiersentwicklung (Beteiligungsprozess) unter Berücksichtigung
der Vereinbarkeit von Arbeiten und Wohnen Anwendung finden. Für lärmintensive Nutzungen
wie handwerkliche Tätigkeiten oder durch Musiker oder für Veranstaltungen ist eine teilweise
abgeschiedene Lage nötig. Gleichzeitig muss das Quartier mit den öffentlichen Verkehrsmitteln
oder mit dem Rad gut an den Innenstadtbereich angebunden sein.

Die Entwicklung eines Stadtquartiers für die KuK wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Bereits
heute ist jedoch der Bedarf an geeigneten Räumlichkeiten groß. Deshalb soll versucht
werden, eine geeignete Übergangslösung zu organisieren.

Anlagen: Datenreport Kultur- und Kreativwirtschaft Regensburg
Quellen (alternativ)


Auch muss man erwähnen, dass die Stadt vorhat, das Kulturzentrum im Deggingerhaus stark zu subventionieren.

Allerdings hat hier die Stadt eben nicht Professionelle mit dem weiteren Ausbaukonzept beauftragt, oder eine Ausschreibung vorgenommen, sondern der OB hat die Szene vor Ort aufgefordert: "Sagt mir was ihr wollt. Ich will euch helfen".

Und wenn  man das nun mit Linz vergleicht, muss man sagen: Regensburg geht basisdemokratischer vor. Die gegenwärtigen Maßnahmen setzen auf regionale Kreative, und nicht darauf, mit Gewalt Kulturhauptstadt zu werden.

Und nebenher wurden die Kreativen angestups, sich zu vernetzen.  Zum Problem Vernetzung wird noch einiges zu sagen sein.


Den Anstupser gaben Stadtrat, die Bürgermeister und die Initiative Creative-Monday-Regensburg im Herbst 2014. Wer ist aber Creative-Monday-Regensburg?


Fortsetzung in Teil 3