Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Donnerstag, 26. Dezember 2019

Was Julklapp bedeutet, warum Weihnachten 1918 traurig war, und Weihnachtsgedichte von Tucholsky

Was bedeutet eigentlich Julklapp. Ich habe das Wort bei einem Weihnachtsgedicht von Theobald Tiger entdeckt, also von Kurt Tucholsky, denn Theobald Tiger war eines seiner Pseudonyme, unter denen er geschrieben hat. Es gibt mehrere Weihnachtsgedichte von ihm, wie ich entdeckte, und eines druckte er in der Satirezeitung ULK ab, einer Beilage des Berliner Tageblatts. Dazu später noch mehr.





Also: Julklapp bedeutet:




    kleines Geschenk, das jemand in der Vorweihnachtszeit meist im Rahmen einer Feier von einem unbekannten Geber bekommt [oder das entsprechend dem skandinavischen Brauch nach lautem Anklopfen oder Rufen bei jemandem ins Zimmer geworfen wird


Herkunft: Julklapp geht auf das schwedische ‚Weihnachtsgeschenk[1]‘ zurück, was sich aus jul → sv ‚Jul‘ und klappa → sv ‚klopfen‘ zusammensetzt. Der Bezug zum Klopfen erklärt sich dadurch, dass derjenige, der Weihnachtsgeschenke brachte, bei seinem Kommen traditionell an die Tür klopfte[2], bevor er schnell davonlief[3]; vergleiche Julfest und Julmond


Beispiele (gemäß Wiktionary):

    [1] „Die Familien sind zusammen, die Kinder werden beschenkt und Erwachsene erhalten und schicken ihre Julklapps, während in der Mitte des Zimmers ein mit Blumen, Früchten und Näschereien reich behangener Weihnachtsbaum brennt.“[4]

    [1] „Julklapps (Julklappar) heißen die Geschenke und Scherze, die man einander zuschickt, es ist damit wirklich allerliebst; für Lachen und Freude, auch zuweilen für Ärger, ist da gesorgt.“[5]

    [1] „Dann ging sie auf Innstetten zu, um ihm zu danken, aber eh sie dies konnte, flog, nach altpommerschem Weihnachtsbrauch, ein Julklapp in den Hausflur: eine große Kiste, drin eine Welt von Dingen steckte.“[6]

    [1] Julklapp ist eine am Julfest von unerkannten Schenkern mit einem lauten Julklappruf in die Stube geworfene Gabe.


Das Weihnachtsgedicht von Tucholsky


Das Gedicht, das habe ich nicht über die übliche google-Suche gefunden, sondern beim Durchblättern der historischen Satire-Zeitschrift ULK aus 1918. Ich wollte wissen, wie nach Kriegsende die Redakteure dieser  Zeitung das Weihnachtsfest einläuten.

Der erste Weltkrieg endete im November 1918, der Waffenstillstand vom 11. November hielt und und wurde zum dauerhaften Frieden. Es ist interessant, die einzelnen Ausgaben im Jahr 1918 zu verfolgen und mit den geschichtlichen Hintergrunddaten (siehe z.B. Wikipedia) zu vergleichen.


Im Gegensatz zu vielen anderen Stücken von Kurt Tucholsky handelt es sich aus heutiger Sicht um ein schwer verständliches Gedicht, weil wir die satirischen Bezüge zu den damaligen Akteuren kaum kennen:



Weihnachten
Von Theobald Tiger




Digitalisiert (gemäß Wikisource):



In meiner Heimat, da oben im Norden,
sind wir als Kinder versammelt worden,
Anna stand hinter der Tür und hatte
einen Vollbart an aus furchtbar viel Watte.

Und während wir drin um den Weihnachtsbaum sangen,
hat sie ganz vorsichtig angefangen,
ein kleines Paket durch die Tür zu schieben,
da stand nun irgendwas drauf geschrieben:
Für Peter – Für Theo – Für Mary – Für Claire –

und wir platzten vor Neugier, was das wohl wäre – –
Und dann machte die Weihnachtsfrau draußen: Schwapp!
 Und warf den Packen und rief:
 „Julklapp!“

Ich werf euch nun so einige Packen

mit Spielzeug und Bildern und Nüssen zum Knacken:

Karl Liebknecht, wie bist du rein und fanatisch,
auf die Dauer wirkst du doch unsympathisch;
du bestärkst den Radau, treibst der Rechten die Mühlen –
ich glaube, du sitzt grade zwischen zwei Stühlen – –

 Julklapp!

Frau Schwerindustrie, da hockst du und wartest.
Weißt du, daß du uns vier Jahre lang narrtest?
Jetzt sind dir die Felle stromabwärts geschwommen –
Bei Thyssen! sie werden schon wiederkommen – –

 Julklapp!

Herr Major, die gesträubtesten Schnurrbarthaare
trösten uns nicht über die letzten Jahre.
Wo ist Ihr Glanz? Jetzt sitzt er und putscht.
Herr Major, Sie sind hinten runtergeruscht!

 Julklapp!

Fühlst du dich etwa vom Frieden betroffen?
Herr Schieber? Mein Lieber, ich will es nicht hoffen.
Denn darin seid ihr euch gleich geblieben:
Für den Tüchtigen gibt es stets was zu schieben – –

 Julklapp!

A und S – eine liebe Erscheinung!
Von jeher war das meine Meinung:
wir haben zu wenig Beamte im Haus.
A. u. S. Vielleicht heißt das: „aus“?

 Julklapp!

Die Kinder … das ist ein ernstes Kapitel:
Brotkarten, Vaterns Soldatenkittel –
die Schule fällt aus – unsre Hoffnung nicht minder –
ich glaube, ich habe zum Glück keine Kinder …

 Julklapp!

Der Tanz ist erwacht mit einem Male.
Der Fox-Trott zieht durch alle Lokale;
und wer ihn nicht richtig tanzen kann,
der ist überhaupt kein deutscher Mann – –

 Julklapp!

Mein Kino, du hast jetzt gute Tage!
Keine Aufsicht mehr, keine Zensurenplage.
Man kann jetzt unverhüllt alles sehn –
und trotzdem bist du genau so schön – –

 Julklapp!

 *      *      *

Ich hoffe, ich habe keinen vergessen.
Aber ihr geht nun gewiß zum Weihnachtsessen.
Und wenn wir das hier so alles lesen:
es ist eine schöne Bescherung gewesen!

(hier kommt kein Julklapp am Ende)
Ulk Jahrgang 47, Nummer 51, Seite 202
http://de.wikisource.org/wiki/Weihnachten_%28In_meiner_Heimat%29


Die Zeitschrift ULK

Die Satire-Zeitschrift Ulk, ein norddeutsches Gegenstück zu den süddeutschen Fliegenden Blättern, erschien von 1872 bis 1933 als Gratisbeilage des Berliner Tageblatts bei dem viel produzierenden Verleger Rudolf Mosse. Vom September 1910 bis November 1930 wurde der Ulk, der auch separat bezogen werden konnte, zusätzlich der Berliner Volks-Zeitung beigelegt.


In den Jahren 1918 bis 1920 arbeitete Kurt Tucholsky als Chefredakteur des Ulk. Dadurch bot sich ihm ein großes Publikum, da die beiden Zeitungen, in denen der Ulk als Beilage erschien, eine Viertelmillion starke Leserschaft hatten.

Tucholsky wollte mit den Kriegswitzen und dem Durchhaltehumor Schluß machen, und den Ruf des jüdisch-demokratischen Ulk wiederherstellen. Nach Tucholskys Ausscheiden kehrte der Ulk, unter Joseph Wiener-Braunsberg, wieder zu seiner früheren Linie zurück.

Digitalisiert und kostenlos lesbar hier: http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/ulkhd.html

Man findet aber auch verschiedene Digitalisate via google-book-Suche. Obiger Ausschnitt stammt aus einer solchen PDF-Datei, die von google in Kooperation mit einer Bibliothek erstellt hat und kostenlos zum Download anbietet.

Weitere Weihnachtsgedichte von Kurt Tucholsky:

Weihnachten
     Von Theobald Tiger (= Kurt Tucholsky)

Nikolaus der Gute
kommt mit einer Rute,
greift in seinen vollen Sack –
dir ein Päckchen – mir ein Pack.


Ruth Maria kriegt ein Buch
und ein Baumwolltaschentuch,
Noske einen Ehrensäbel
und ein Buch vom alten Bebel,
sozusagen zur Erheiterung,

zur Gelehrsamkeitserweiterung ...
Marloh kriegt ein Kaiserbild
und ’nen blanken Ehrenschild.
Oberst Reinhard kriegt zum Hohn
die gesetzliche Pension ...

Tante Lo, die, wie ihr wißt,
immer, immer müde ist,
kriegt von mir ein dickes Kissen. –
Und auch hinter die Kulissen
kommt der gute Weihnachtsmann:

Nimmt sich mancher Leute an,
schenkt da einen ganzen Sack
guten alten Kunstgeschmack.
Schenkt der Orska alle Rollen
Wedekinder, kesse Bollen –

(Hosenrollen mag sie nicht:
dabei sieht man nur Gesicht ... ).
Der kriegt eine Bauerntruhe,
Fräulein Hippel neue Schuhe,
jener hält die liebste Hand –

Und das Land? Und das Land?
Bitt ich dich, so sehr ich kann:
Schenk’ ihm Ruhe –
 lieber Weihnachtsmann!

http://de.wikisource.org/wiki/Weihnachten_%28Tucholsky%29

Und noch das Gedicht "Weihnachten" aus "Fromme Gesänge":

Weihnachten


So steh ich nun vor deutschen Trümmern
und sing mir still mein Weihnachtslied.
Ich brauch mich nicht mehr drum zu kümmern,
was weit in aller Welt geschieht.

Die ist den andern. Uns die Klage.
Ich summe leis, ich merk es kaum,
die Weise meiner Jugendtage:
 O Tannebaum!

Wenn ich so der Knecht Ruprecht wäre

und käm in dies Brimborium
– bei Deutschen fruchtet keine Lehre –
weiß Gott! ich kehrte wieder um.
Das letzte Brotkorn geht zur Neige.
Die Gasse gröhlt. Sie schlagen Schaum.

Ich hing sie gern in deine Zweige,
 o Tannebaum!

Ich starre in die Knisterkerzen:
Wer ist an all dem Jammer schuld?
Wer warf uns so in Blut und Schmerzen?

uns Deutsche mit der Lammsgeduld?
Die leiden nicht. Die warten bieder.
Ich träume meinen alten Traum:
Schlag, Volk, den Kastendünkel nieder!
Glaub diesen Burschen nie, nie wieder!

Dann sing du frei die Weihnachtslieder:
 O Tannebaum! O Tannebaum!

http://de.wikisource.org/wiki/Weihnachten_%28Tucholsky%29