Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 8. März 2015

Grippewelle legt Krankenversorgung lahm

Vor kurzem besuchte ich einen Verwandten im Krankenhaus. Er ist nur wenig älter als ich, kämpft aber gegen Krebs. Das Tragische: eine lebensverlängernde Operation, die eigentlich für diese Tage vorgesehen war, kann erst in 10 Tagen erfolgen. Der spezialisierte Chirurg ist krank.

Und nicht nur er. Sowohl in dieser Klinik als auch in anderen Kliniken sind teilweise bis zu mehr als 50% der Mitarbeiter weggebrochen. Es gibt Stationen in bayerischen Kliniken, die schlichtweg dicht machen mussten, heißt es im Umfeld von medizinischen Mitarbeitern. Da gibt es noch einen Notdienst, aber keine Operationen oder Behandlungen mehr. Was soll man machen, wenn von 10 Ärzten nur noch 3 da sind, erklärte beispielsweise ein Leiter.



Krankenhaus Barmherzige Brüder


Und auch die ärztliche Versorgung meines Verwandten ist reduziert - ständig heißt es: erkrankt, erkrankt, erkrankt. Ohne Ersatz, wohlbemerkt. Denn Krankenschwestern kann man ersetzen, aber nicht Ärzte, die Visite machen sollten oder auf konkrete Anfragen hin vorbeikommen wollten.




Es kann also sein, das ist ihm und mir ganz klar, und muss ganz offen gesagt werden, dass derzeit Patienten  einen lebensrettenden oder lebensverlängernden OP-Termin nicht erleben. Wegen der Krankheitswelle.

Und im Pflegebereich arbeiten die Leute auch im Anschlag. Bei dem Versuch, Unterstützungsmöglichkeiten für meine Eltern abzuklären, erfuhr ich, wie sehr auch die ambulaten Pflegekräfte unter dem Ausfall kranker Mitarbeiter leiden. Was das für Folgen für die zu Pflegenden hat, will ich hier nicht schildern. Das kann sich jeder selber denken.

Da hilft alles Engagement nicht. Ich habe bei meinem Klinikaufenthalt in der Intensivstation der Uniklinik vor zwei Jahren erlebt, mit welchem unglaublichen Engagement die - fast durchwegs unterbezahlten - Mitarbeiter  ihren Job ausübten. Wenn ich das mit 18 erlebt hätte, wäre mir klar gewesen, was ich werden will. Dass ich im medizinischen Bereich tätig sein will, sei es als Pfleger oder Arzt, irgendwie. Ähnlich wie die Serie Emergency Room eine Welle im medizinischen Bereich in den USA auslöste.


Ich habe in den letzten Jahren im Fortbildungsbereich angehende Fachwirte für Gesundheitswesen unterrichtet und betreut. Leute, die schon im Dienst waren, und sich fortbilden wollten. Ich habe die Zeit genossen, es waren durchwegs sympathische Teilnehmer mit humanistischer Einstellung und sozialem Ehrgeiz. Ich hatte schon von jeher viele Freunde aus den Heilberufen, hier zeigte sich, dass dies kein Zufall ist. Wer z.B. Physiotherapie oder Ergotherapie lernt, ist monetär masochistisch. Er weiß, dass sich die extremen finanziellen investitionen eigentlich nicht lohnen. 

Denn das ist kein Lehrberuf, wo man während der Lehre Geld bekommt, vielmehr muss er tausende Euro investieren, um die Zulassung zu bekommen - mit wackeligen Verdienstaussichten. Solche Leute haben eine starke soziale Triebfeder.

 Immer wieder erstaunlich, dass es soviele davon gibt.

Aber was hilft das alles, wenn eine Grippewelle das Personal wegfegt? Man kann schlecht Ärzte auf Bereitschaft "vorhalten". So gern man einen Schuldigen suchen würde - das geht nicht so einfach.

Anmerkung: Beitrag nachträglich freigeschaltet im Oktober 2015; der Verwandte lebt noch.