Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 17. Oktober 2021

Zweite Premiere von "Sand" im Veledrom - wenn Tänzer im Beach-Sand herumwirbeln.



Jubelnder Applaus mit Bravo-Rufen und Fußgetrampel. So wurden die Premiere des Tanztheaterstücks "Sand" gestern im Velodrom quittiert.

Das war von Anfang an schön, gestern. Schon vor dem Beginn, also vor dem Veledrom, als sich die Leute sammelten und sich freuten: "endlich wieder solche Treffen, endlich wieder diese Atmosphäre". Das Spektakel wurde in der Rede von Reischl als "zweite Premiere" bezeichnet. Denn das Stück hatte seine Uraufführung am 20. November 2020 und da wusste man schon vom nächsten Shutdown, der zwei Tage später begann. Ob da nur geladene Gäste Zutritt hatten, konnte ich nicht mehr herausfinden. Es gab jedenfalls eine sehr ausführliche Besprechung auf einer österreichischen Tanztheaterplattform, der ich hilfreiche Informationen entnehmen konnte.

Zehn Tonnen Beachbar-Sand waren da offenbar aufgeschüttet worden, im Hintergrund eine Kette von Kunst-Felsen, zwischendurch platziert waren drei Röhrenfernseher, die gelegentlich assoziative Hinweise zeigten (sofern man sich darauf konzentrieren konnte) und an einer Stelle sogar - ferngesteuert - in Flammen standen. Letzteres eine faszinierende Meisterleistung des Bühnenbildners.

Die fesselnde und abwechslungsreiche Musik stammte von Nils Frahm, sie ist hauptsächlich klavierbasiert.

Kann man nun auf Sand tanzen? Ja, es geht, die zehn Tänzer (die elfte Tänzerin war krankheitsbedingt ausgefallen) bewiesen es. Sie taten mir gelegentlich ein wenig leid, denn das staubte schon manchmal deutlich, und beim Auftreffen auf dem Boden rutschen die Füße doch ein paar Millimeter weg. Aber das Ergebnis sah - zumindest für uns Zuschauer - hervorragend aus. Nur wenn mal ein Tänzer ganz gewöhnlich den Standort wechseln musste, also ohne Tanz über die Bühne ging oder von der Bühne ging, wurde aus der sonst gewohnten eleganten Fließbewegung ein gewöhnliches Gehen. Mehr erlaubt Sand nicht.  Aber das dürfte wohl kaum jemand bemerkt haben und ist auch nicht wichtig.

Das Stück hatte keine Handlung, sondern ein Thema: Sand. Dazu gehören viele Aspekte, Sand als Mittel der Entspannung im Urlaub (das waren dann die ersten Szenen), Sand, das erdölverseucht oder von Plastik verschmutzt wird, Sand das für Herstellung von Keramik und Glas verwendet wird, Sand, der als wirtschaftliches Handelsprodukt gehandelt wird. "SAND ist eine Kette von getanzten assoziativen Bildern", heißt es in der Beschreibung der Theater-Webseite.


Im anschließenden Gespräch mit meiner Begleiterin (im gut gefüllten und gemütlichen Lokanta) bedauerte ich, dass ich bei fast keiner Szene die eventuelle Bedeutung verstand, die zum Ausdruck gebracht werden sollte. Außer der Eingangssequenz, wo Sand als Wohlfühlfaktor beim Sonnenbaden gezeigt wird, oder wenigen anderen Szenen.

So stand zwischendurch ein Tänzer auf der Felsenkette im Hintergrund und würgte gottserbärmlich vor sich hin, während vom Bühnenhimmel leere Plastikflaschen auf den Sandboden fielen. Das war klar.

Auch dass diese Flaschen später von den Tänzern in den Sand gesteckt und mit Blumen gespickt wurden, war wohl eine Anspielung auf den Tierfriedhof, der bei erdölverschmutzten Stränden entsteht.

Aber was hatten die silbrig umhüllten Hosen zu bedeuten, die in späteren Szenen zu sehen waren, und die eckigen Bewegungen, und dann die Namen, die auf den Röhrenfernsehern auftauchten (Lucas, David) und bei denen man zuerst rätselte, ob es biblische Namen sein sollen. Die Namen wurden dann im Finale gerufen, ja geschrien. Was hatte es zu bedeuten, dass sich ein Tänzer mit Namen vorstellt und etwas von Panik ruft (wie wir später erfuhren, zitierte er Greta Thunberg:"I want you to panic")

Nun, Tanz muss man nicht immer verstehen, zugegeben. Aber wir waren neugierig und googelten, und ich fand den Artikel auf der österreichischen Seite wieder. Dann wurde vieles klarer.

Die Idylle von Erholungsstrand oder Abenteuerurlaubswüste wird nach und nach zerstört durch die Ausbeutung und Zerstörung der Erde - ausgedrückt wurde das offenbar durch die durchsichtigen Hochwasserhosen (also Zellophan und nicht silbriger Stoff), und diese Hosen schränken die Bewegungsfreiheit zunehmend ein. Die Bewegungen vereisen, von den Beinen aufwärts, Arme und Hände bewegen sich eckig und verkrampft.

Die fast eingefrorenen Tänzer schaffen es dann es doch noch, sich vom Frost zu befreien - sie brüllen ihre Namen (es waren tatsächlich die Vornamen der Tänzer, die auf den Bildschirmen erschienen und von den Tänzern gerufen wurden), formen zwei sich gegenüberstehende Gruppen und hüpfen auf und ab. Am Ende liegen die meisten (erschöpft?) am Boden, zwei Tänzer bewegen sich noch.

Und der genannte Artikel wies auch darauf hin, dass auf den Kleidungsstücken Bilder (Knochenskelett) oder Texte aufgedruckt sind. Das zu entziffern lenke zwar ein wenig ab, hieß es, sei aber interessant. Ich selbst hatte von Reihe 13 aus diese Hinweise gar nicht bemerkt. Also aufpassen, wenn ihr hingeht!


Für mich war der Abend übrigens ein Neubeginn nach jahrelanger Pause. Regensburg hatte ab den Achtziger Jahren interessante Choreographen, und ich ging öfter mal in eine Tanzaufführung. Als dann Yuku Mori kam, änderte sich das bald für mich. Die letzte Aufführung, die ich besuchte, war das 2015 aufgeführte "Gefangen im Raum" und ich schrieb damals bewusst nur über die Musik bei dieser Aufführung, verlor kein Wort über den Tanz. Denn der neue Tanz-Stil, der jetzt in Regensburg herrschte, gefiel mir nicht, auch wenn er noch so in den Medien gelobt wurde. Das war furiose Akrobatik, gut, aber es vermittelte keine Gefühle bei mir, berührte mich nicht. So kam es dazu, dass ich über Jahre hinweg das Tanztheater aus dem Auge verlor. Dass es anderen gefiel, freute mich aber für das Regensburger Publikum.

Mehr Informationen zu dem Stück:

https://www.theater-regensburg.de/spielplan/details/sand/

Sand
Tanzabend von Georg Reischl
Mit Musik von Nils Frahm
Spieldauer ca 1 Stunde
Choreographie und Regie Georg Reischl
Bühne und Kostüme Michael Lindner
Choreographische Assistenz Christian Maier
Dramaturgie Christina Schmidt

BESETZUNG (volle Besetzung): Laureen Olivia Drexler, Elisabet Morera Nadal, Rei Okunishi, Giorgia Scisciola; Filippo Buonamassa, Alessio Burani, Bartłomiej Kowalczyk, Lucas Roque Machado, David Nigro, Tommaso Quartani